Kolumne "Phrasenmäher":"Die Leute abholen"

Wähler, Konsumenten, Senioren, Umweltsäue, Fernsehzuschauer, Zeitungsleser und viele Zielgruppen mehr sollen ständig "abgeholt" werden. Wer aber lieber dort stehen bleibt, wo er ist, ärgert sich über die untoteste aller Phrasen.

Von Gerhard Matzig

Natürlich, es gibt Menschen, die sich gern abholen lassen. Zum Beispiel möchte sich die Herzogin von Sussex aus dem britischen Königshaus abholen lassen. Das gilt auch für den kleinen Finn-Arthur. Nur ist es bei ihm das Ikea-Bällebad. (Der Unterschied ist möglicherweise marginal.) Jedenfalls wartet Finn-Arthur nicht auf Nordamerikaner wie Meghan Markle, sondern auf Erziehungsberechtigte. Und ja, es gibt auch Menschen, die ihrerseits gern andere Menschen abholen. Das können zum Beispiel lizenzierte Fahrer von Uber sein. Oder es ist sogar der Tod - dann ist es gut, wenn man zufälligerweise der Brandner Kaspar ist, der sich in diesem Fall aber nicht gern abholen lässt. Die, die sich nicht gern abholen lassen, werden übrigens immer mehr, weil sie sich von der untotesten aller toten Phrasen so nachhaltig belästigt fühlen, wie das sonst nur noch die Phrase von der Nachhaltigkeit selbst schafft. Perfiderweise werden aber trotzdem auch die immer mehr, die andere partout irgendwo - und sei es, bei sich selbst - abholen wollen. Es ist das Elend sinnloser Mobilität. Da werden Wähler, Konsumenten, Senioren, Umweltsäue, Fernsehzuschauer und Zeitungsleser immerzu abgeholt. Obwohl man gar nicht weiß, ob und von wo sie abgeholt werden wollen. Wer also kein Tod, kein Erziehungsberechtigter, kein lizenzierter Uber-Fahrer und nicht einmal Nordamerikaner ist, sollte andere dort stehen lassen, wo sie sind. Alles andere tut anbiedernd freundlich, ist aber bisweilen nur ein Akt herablassender Übergriffigkeit.

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