Kolumne "Nichts Neues":Blaue Jahre

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(Foto: Youtube/Bearbeitung: SZ)

"Ha!": Einer der seltenen Auftritt von Joan Didion 2011 in der New York Public Library

Von Johanna Adorján

Am 21. November 2011 hatte die im Dezember verstorbene Joan Didion einen ihrer seltenen öffentlichen Auftritte. Zum Erscheinen von "Blue Nights", das vom Tod ihrer Tochter handelt, ließ sie sich in der New York Public Library vor Publikum von einer jungen Kollegin interviewen. Man kann sich den Abend im Internet ansehen, ein faszinierendes, ungemütliches Schauspiel. Die Interviewerin ist sehr aufgeregt, und Didion tut nichts, um ihr zu helfen. Sie kommt ihr keinen Millimeter entgegen, obwohl die beiden sich privat kennen, antwortet knapp und lässt jeden Versuch, auf der Bühne ein gemeinsames Wir unter Schriftstellerinnen zu etablieren, unabgeholt verenden. Und sieht dabei so harmlos aus.

Wie ein winziges, zierliches altes Mädchen sitzt sie artig und kerzengerade vor einem Standmikrofon, das in etwa dieselben Maße hat wie sie, und bewegt ihre Arme wie Scheibenwischer, von der Mitte zur Seite, als schöben sie etwas Unsichtbares weg. Immer wieder passiert dies, brüsk, wie gegen den Takt, nicht harmonisch.

Nur einen Augenblick scheint sie unkontrolliert

Manchmal lächelt sie, was sich bis zu einem lauten "Ha!" steigern kann. Meistens ist sie ernst. Sogar dann, wenn sie ihr Publikum mit einer trockenen Bemerkung zum Lachen hingerissen hat. Nur einen Augenblick scheint sie unkontrolliert: als die Moderatorin andeutungsweise über das College lästert, das Didions Tochter besuchte, Barnard. Das scheint Didion zu interessieren und so zu belustigen, dass sie kurz lachen muss.

Am auffälligsten sind ihre Augen. Wenn sie, selten, ins Publikum sieht, wirkt sie wie gerade geweckt und noch verständnislos, möglicherweise minimal besorgt. Sie hat im Buch "Jahr des magischen Denkens" über den Blick von Menschen geschrieben, die kürzlich jemanden verloren haben, diese Verletzlichkeit, Nacktheit darin. Es sei "der Ausdruck von jemandem, der aus dem Sprechzimmer des Augenarztes mit geweiteten Pupillen nach draußen ins helle Tageslicht tritt, oder von jemandem, der eine Brille trägt und sie plötzlich abnimmt. Menschen, die jemanden verloren haben, sehen nackt aus, weil sie sich selbst für unsichtbar halten." An jenem Abend war ihr Mann acht, ihre Tochter sechs Jahre tot. Aber das Erstaunen war immer noch nicht aus ihren Augen gewichen.

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