Kolumne "Netznachrichten":Was im Schatten passiert

Seit die großen Social-Media-Plattformen die Radikalen immer öfter verbannen, gibt es neue Netz-Treffpunkte für ultrarechte Milizen, Verschwörungsgläubige und die Trump-Familie.

Von Michael Moorstedt

Manche Dinge im Internet funktionieren ja doch letztendlich wie auch in der echten Welt. Gilt es, einen Kriminalitätsschwerpunkt in den Griff zu bekommen, verteilt die Polizei gerne Platzverweise. Das gleiche Prinzip gibt es so ähnlich auch im Netz. Deplatforming heißt das wenig elegant. Man entzieht den Radikalen also die Bühne, auf der sie ihre kruden Ideen präsentieren. Nach Meinung der meisten Netzwerk-Forscher funktioniert das auch im Großen und Ganzen. Hauptsache weniger Reichweite, lautet das Credo. Ganz so, als ob durch das Verschwinden der Inhalte in den großen sozialen Netzwerken auch die Bereitschaft zur Radikalisierung der Nutzer nachlässt. Denn auch im zweiten Schritt hält die Analogie: Bekommen sie einen Platzverweis erteilt, weichen die Menschen im echten Leben einfach in noch schattigere Gefilde aus, die noch schwerer zu kontrollieren sind.

Wer denkt, schon auf Twitter oder Facebook würden schon zu oft die Grenzen des guten Geschmacks überschritten, sollte einen großen Bogen um Angebote wie Zello, MeWe oder Rocket.chat schlagen. Denn für jede etablierte Plattform, die nun doch nach und nach allzu rassistische und hasserfüllte Inhalte blockiert, findet sich ein Gegenpart, auf dem alles erlaubt ist. Zello bietet Sprachnachrichten, MeWe ist ein soziales Netzwerk und Rocket.chat ähnelt Slack. Was passiert, wenn sämtliche zivilgesellschaftlichen Etikette über Bord geworfen werden, kann man dieser Tage gut auf vielen dieser Angebote beobachten.

Man ist eh unter sich - jeder kann mitlesen

Kurz vor der Präsidentschaftswahl in den USA organisieren sich dort beispielsweise stramm rechte Milizen, die auf den entsprechenden Seiten offen darüber diskutieren, was am "Tag X" passieren soll, und zudem neue Mitglieder rekrutieren wollen. Und weil man ja eh unter sich ist, gibt es hier auch gar keine Notwendigkeit, die eigenen Ansichten hinter Passwörtern oder in geschlossenen Gruppen zu verstecken. Jeder kann mitlesen.

Die Anbieter teilen dabei nur selten die Ideologie, sie verstehen ihre Plattformen nur als Bastionen der Meinungsfreiheit. Ähnliches hatte man in der Vergangenheit immer wieder auch von Mark Zuckerberg gehört, wenn es darum ging, warum Inhalte auf Facebook nicht stärker moderiert und - bei justiziablen Aussagen - auch gelöscht werden. Tech-Unternehmen sollten nicht darüber zu entscheiden haben, was die Wahrheit ist und was nicht, sagte er sinngemäß jedes Mal, wenn er vor Ausschüssen Rede und Antwort stehen musste. "Das Netzwerk, das auf Vertrauen, Kontrolle und Liebe basiert", heißt es etwa ganz ironiebefreit auf der Startseite von MeWe.

Die Website Parler hat dagegen eine andere Geschichte. Der Twitter-Klon wurde gegen Mitte 2020 von prominenten Vertretern des rechten Lagers ausdrücklich als konservative Alternative zu den Mainstream-Plattformen gelobt, reaktionäre Superstars wie Dan Shapiro oder auch diverse Mitglieder der Trump-Familie legten Nutzerkonten an, mehr als eine halbe Million Menschen meldeten sich wöchentlich neu an. Inzwischen hat die Begeisterung der rechten Blase aber bereits wieder deutlich nachgelassen. Das liegt schlicht daran, dass die App zwar sämtliches toxisches Gedankengut zulässt, im Gegenzug aber immer wieder abstürzt. Selbst Fanatiker legen offenbar Wert auf Benutzerfreundlichkeit.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: