Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Mediaplayer":Höchster Einsatz

Todesmutige Wetten unter Bombenentschärfern, Männer, die in schwindelnden Höhen arbeiten, eine Erinnerung an das Mexiko der Siebzigerjahre und ein alttestamentarisches Epos von King Vidor - Tipps für DVD- und Blu-ray-Fans.

Von Fritz Göttler

Kino vom Nullpunkt, vom Neubeginn, zwischen Müdigkeit und Erwartung. Die Heimkehrer sind happy, als sie aus dem Zug steigen in Berlin, am Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie haben einen wichtigen Job, solide Unterkunft, doppelte Entlohnung. Weil sie als Soldaten der Ideologie der Nazis gegenüber skeptisch waren, wurden sie als Todeskommando trainiert, Bomben zu deaktivieren. Dieses Wissen kann man bei den Alliierten nun brauchen, in den Trümmern von Berlin. "Vor uns die Hölle / Ten Seconds to Hell" ist ein kleiner Team-Thriller von Robert Aldrich, 1959, in Berlin produziert. Aldrich hatte, nach seinem Erfolg mit dem Film noir "Kiss Me Deadly" seine eigene Produktionsfirma gegründet, konnte aber in den USA seine Projekte nicht finanzieren. Wie immer balancieren in seiner Inszenierung Präzision und Pathos einander aus. Wie wird, das ist die Frage, die Gesellschaft aussehen, die aus der Asche neu entsteht. Die Trümmerlandschaft Berlins hat Ken Adam gestaltet, der Ausstatter vieler Bond-Filme, "The Phoenix" heißt das Buch, nach dem der Film entstand. Die nicht so glorreichen Sechs - ein Jahr später hatte John Sturges seinen legendären Teamwestern geschaffen, mit Yul Brynner und Steve McQueen - erhöhen den Druck, indem sie eine perverse Wette auf den Tod anzetteln, sie zweigen einen Teil ihres Lohns ab, den soll der Letzte, der den Job überlebt, bekommen. Zwei von ihnen, Jeff Chandler und Jack Palance, erhöhen den Einsatz noch, als sie um eine Frau konkurrieren, ihre Zimmerwirtin, Martine Carol. Die sucht das Vergessenkönnen. Für Chandler ist jeder, der nicht zuerst für sich sorgt, ein Narr, er kommt im schwarzen Anzug mit Champagner in die Wohnung. Palance hält an alten Prinzipien fest. Du hältst dich für rein und überlegen, wenn du dich zurückhältst, erklärt die Frau. 1955 war Martine Carol bei Max Ophüls Lola Montez, da haben die Blicke der Männer sie in die gleiche Einsamkeit gezwungen. (explosive media)

Ein weiterer Film über Spezialarbeiter, mit sehr viel Suspense, aber von schmerzlicher Genauigkeit in seinem soziologischen Blick, "The Cruel Tower/Turm des Todes", von Lew Landers. Der junge John Ericson, gern in Leibchen oder Lederjacke, wird von Hobos aus dem fahrenden Güterzug geschmissen und von Charles McGraw und seinen Leuten aufgelesen und mitgenommen. Sie sind im Steeplejack Business, Höhenarbeiter, sie prüfen und reparieren Wassertürme oder Kamine. "Call up and we come down", lautet ihre Parole. McGraw ist, wie immer, auf eine ziemlich aufrechte Weise fies, an seiner Seite ist die blonde Mari Blanchard. In den ersten Stunden seiner Rekonvaleszenz wechselt Blanchard Bluse und Hose vor Ericsons Augen um. (Die Blaue Serie)

Höhenarbeiter in Polen, in "Die Maske" von Malgorzata Szumowska. In Swiebodzin an der deutsch-polnischen Grenze, wird die größte Christus-Statue der Welt errichtet, 36 Meter hoch ist sie und also noch größer als die von Rio de Janeiro. Jacek arbeitet auf der Baustelle dort, er stürzt ab, wird operiert, hat aber nun ein entstelltes, maskenhaftes Gesicht, verzerrt, vernarbt, ein Auge trieft. Schweinefresse rufen die Kinder. Ein Außenseiter war Jacek schon davor, ein Monster, mit langen Jesuslocken und dem Drang zu voller Heavy-Metal-Dröhnung, wenn er im Auto durch die Landschaft preschte. Zu Weihnachten wünscht ihm seine Schwester, dass er endlich seine Freiheit leben könne, und nach dem monströsen Unfall möchte die Mutter, dass man einen Exorzismus bei ihm macht. (absolut Medien)

Premiere jenseits der großen Streaming-Euphorie: Den viel gerühmten Netflix-Klassiker "Roma" von Alfonso Cuarón gibt es jetzt auch auf DVD und Blu-ray. Eine Jugend in Mexico City in den Siebzigerjahren, zwischen Glück und Geborgenheit in der Familie und politischem Terror in der Welt. Cuarón beschwört die große Freiheit, die er vom Kino erwartet, und wie sie vom neuen Medium begrenzt wird: Ein Mädchen und ein Junge sitzen im Kino, und sie reden über ihre Zukunft, und vorn auf der Leinwand geht die große Sause ab, eine Anti-Nazi-Klamotte mit Louis de Funès. (Warner)

Die King Vidor-Retrospektive im Münchner Filmmuseum ist wegen Corona abgebrochen, aber auf DVD ist vor einem halben Jahr der letzte Film des Meisters erschienen, "Solomon and Sheba / Salomon und die Königin von Saba", 1959. Technicolor und , in den Titelrollen Yul Brynner und Gina Lollobrigida. Ein Machtkampf zwischen Brüdern, eine Frau macht Politik, bringt eine heidnische Religion nach Palästina. Die Schlacht am Ende ist kurz, aber schmerzvoll. Die Feinde rennen geblendet ins Licht und sehen die tiefe Felsspalte vor ihren Füßen nicht (Koch Media)

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SZ vom 23.03.2020
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