Kolumne Media Player:Im Tipi mit Günter Grass

Kolumne Media Player: Lauren Ambrose als Julie in der Serie "The Interestings".

Lauren Ambrose als Julie in der Serie "The Interestings".

(Foto: Amazon)

Die Amazon-Serie "The Interestings" folgt einer Gruppe von Hochbegabten durch die Jahrzehnte. Roman- und Serienstrukturen gleichen sich dabei immer mehr an.

Von David Steinitz

Wenn der durchschnittlich bekiffte amerikanische Teenager Mitte der Siebzigerjahre seinen Intellekt zur Schau stellen wollte, dann zitierte er laut dieser Serie Günter Grass. Denn: europäische Autoren mit unaussprechlichen Umlauten im Namen beweisen auch dann eine lässige kulturelle Bildung, wenn man "Die Blechtrommel" nicht bis zur letzten Seite geschafft hat.

Die Pilotfolge der Amazon-Serie "The Interestings" beginnt 1974 im Tipizelt eines Ferienlagers, in dem sich eine Gruppe neunmalkluger Jugendlicher zum ersten Mal begegnet. Durchquatschte Nächte, heimliche Knutschereien, pubertäres Pathos - die sechs Jungs und Mädchen formieren sich zur unzertrennlichen Clique, die sich selbst den Namen "Die Interessanten" gibt. Die Serie ist Teil der aktuellen "Amazon Pilot Season", der Streamingdienst stellt Pilotfolgen vor und die Nutzer können dann abstimmen, ob die jeweilige Geschichte für eine ganze Serienstaffel in Produktion gehen soll.

"The Interestings/Die Interessanten" basiert auf dem gleichnamigen Roman der US-Schriftstellerin Meg Wolitzer aus dem Jahr 2013. Das Buch ist ein klassisches amerikanisches Generationenpanorama. Die Autorin begleitet ihre bunte Protagonistentruppe von den Siebzigern bis heute: Eine Coming-of-Age-Story, eine Mediation über Freundschaft und Familie - und natürlich auch ein Desillusionierungsroman, der von vielen geplatzten Träumen erzählt, während die Figuren heranwachsen, älter werden und selber Kinder bekommen. Ähnlich wie das Buch springt auch die Serienadaption zwischen den Jahrzehnten hin und her - es wird nicht chronologisch, sondern ganz sprunghaft erzählt. Das ist in den ersten Minuten ein bisschen verwirrend, macht aber einen großen Teil des Charmes dieses Projekts aus: Was die Figuren 1974 oder 1985 oder 1995 tragen, wie die Frisuren aussehen oder die Brillen, die Coladosen oder die Schlafzimmervorhänge, ist so pointiert ausgewählt, dass man die Einblendung der Jahreszahlen fast nicht bräuchte.

Ein großer Teil der Begebenheiten nach den aufregenden Wochen im Feriencamp spielt in New York. Auch hier haben die Macher den extremen Wandel der Stadt vom Großstadtslum der Siebziger zur generalgereinigten Hochglanzcity von heute äußerst detailversessen nachgezeichnet: ein Weltensprung wie zwischen "Taxi Driver" und "Sex and the City".

Inszeniert hat die erste Folge der renommierte britische Regisseur Mike Newell, der zuvor unter anderem "Harry Potter und der Feuerkelch" und "Donnie Brasco" gemacht hat. Das Spannende an seinem Serienprojekt ist nun, dass es sich zwar um die Adaption einer literarischen Vorlage handelt, die aber wiederum deutlich vom seriellen Erzählen des letzten Jahrzehnts geprägt ist. Mike Newell verfilmt einen Roman, den Meg Wolitzer bereits nach einem dramaturgischen Modell angelegt hat, das im Fernsehen der letzten Jahre erprobt wurde. Die Kapitel ihres Buchs lesen sich bereits wie einzelne Serienepisoden, die Spannungsbögen haben einen ganz ähnlichen Aufbau wie TV-Drehbücher.

So verhält es sich beispielsweise auch mit dem aktuellen Roman von Jonathan Franzen, "Unschuld", der nun mit Daniel Craig in der Hauptrolle als Serie adaptiert werden soll. Auch hier ist das Buch quasi eine Steilvorlage für die Drehbuchautoren, ein fast schon fertig ausgearbeitetes TV-Konzept.

Diese Wechselwirkung lässt sich als Phänomen aber auch zwischen Kino und Roman beobachten, besonders im Genre des Thrillers. Große Bestseller wie "Gone Girl" von Gillian Flynn oder "The Girl on the Train" von Paula Hawkins lesen sich fast wie übermäßig ausformulierte Drehbücher, kaum noch wie Prosawerke. Vor allem aber folgen diese Geschichten einer Dreiakt-Struktur mit exakt gegliederten Höhepunkten, wie sie in jedem Drehbuchratgeber zu finden ist. Und natürlich lösen diese Krimis dann auch große Euphorie unter Filmemachern aus: "Gone Girl" ist von David Fincher bereits erfolgreich verfilmt worden. Und "The Girl on the Train" kommt im Herbst mit äußerst prominenter Besetzung - unter anderem mit Emily Blunt - ins Kino.

The Interestings ist als Video-on-Demand bei Amazon Video abrufbar.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: