Kolumne: Deutscher Alltag:Ork mit lilagrüner Filzkappe

Auf jedem Weihnachtsmarkt zwischen Allgäu und Börde gibt es Kappen en masse. Und allerlei niedliche Plüschtiere im Kunstschnee. Weihnachten ist doch gar nicht so schlimm, oder?

Kurt Kister

Man traut sich ja gar nicht mehr, irgendetwas Negatives über Weihnachten zu schreiben. Jeder Leihbischof wettert im Deutschlandfunk über die Kommerzialisierung des Festes, und der Unmut über den "Weihnachtsstress" quillt noch aus dem allerletzten Blog. Dabei sind gerade die Vorweihnachtszeit, die Weihnachtsmärkte, -lieder und -dekorationen, gar nicht so schlimm.

Kolumne: Deutscher Alltag: Bordeauxdogge Nele sieht putzig aus mit Filzkappe. Ob sie wohl auch ihre Persönlichkeit stärkt?

Bordeauxdogge Nele sieht putzig aus mit Filzkappe. Ob sie wohl auch ihre Persönlichkeit stärkt?

(Foto: Foto: ddp)

In München gibt es in einem Kaufhaus gleich am Marienplatz jedes Jahr ein Weihnachtsschaufenster, in dem niedliche Plüschtiere allerlei niedliche Arbeiten verrichten. Sie bewegen sich etwas mechanisch unbeholfen, aber dennoch artig, insgesamt ungefähr so wie der Ex-Minister Franz Josef Jung.

Dem langjährigen Gelegenheitspassanten fällt auf, dass vor dem Fenster seit zwei, drei Jahren erstaunlich viele vermummte Mütter aus Arabistan stehen. Ihre dunkelhaarigen Kinder gucken besonders fasziniert auf Bärchen, Häschen und Igelchen im Kunstschnee. Das ist schön. Vielleicht kommen deswegen noch mehr Einkäufer vom Golf. Die kurbeln unsere Wirtschaft allemal stärker an als das doofe Wachstumsbeschleunigungsgesetz der Berliner Knirsche-Koalition.

Weihnachten macht aber nicht nur den Araber am Marienplatz froh, sondern es bringt uns auch viele Christkindlmärkte. Es ist bemerkenswert, wie viele Frauen mittleren Alters in warmfarbenen Gewändern Kopfbedeckungen aus Filz herstellen oder zumindest verkaufen. Auf jedem Weihnachtsmarkt zwischen Allgäu und Börde gibt es eine, oft mehrere solche Buden, in denen Kappen nach Art der Janitscharen-Mützen oder im vielfältig variablen Blumentopfdesign feilgehalten werden.

Die Käuferinnen sind meist Frauen mittleren Alters. Manche sehen putzig mit diesen Mützen aus. Andere wiederum bestätigen die Erkenntnis, dass im 21.Jahrhundert allgemein gültige ästhetische Kriterien ("das sieht gut aus") gegen die Macht des Selbstbewusstseins verlieren ("ich bestimme, ob das gut aussieht".) Weihnachten also, speziell die weihnachtsmärktliche Filzkappe, stärkt die Persönlichkeit. Auch das ist schön.

Schließlich führt die Zeit vor Weihnachten enger mit den Kindern zusammen. Der Sohn möchte keinen Fußball und kein Springseil, sondern eine Ergänzung seiner Warhammer-Armee. Warhammer ist so etwas Ähnliches wie Playmobil, nur etwa 20000 Jahre nach dem atomar bedingten Untergang des Abendlandes. Man arbeitet sich also im Internet in die Warhammer-Welt ein, wo es etwa grüngesichtige, dolchzähnige Orks gibt, gegen die selbst ein Bereichsleiter eine erfreuliche Erscheinung ist. Dann stellt man sich vor, wie so ein Ork mit einer lilagrünen Filzkappe aussähe und ist froh, dass man die vorweihnachtliche Zeit erleben darf.

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