Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Deutscher Alltag:Mit Kasknödel zur Kanzlerwahl

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Tante Angela und Onkel Frank wollen nicht mehr, die Toskana-Fraktion ist dahingesiecht. Aber Toskana oder Tirol - Hauptsache keine Politik.

Kurt Kister

Jetzt im Sommer, da in den Marken die Zikaden zirpen und sich die samtenen Nächte über Umbrien legen, ist es Zeit, Abschied von der Toskana-Fraktion zu nehmen. Nein, keine Angst, nicht etwa Abschied von der Toskana. Man wird weiterhin jede Kirche im Chianti besuchen, den Brunello-Kenner mimen ("ah, ein 1998er aus der Südlage") und an Alberto vom Agroturismo sein Italienisch ausprobieren, als sei man Giovanni di Lorenzo. Aber eigentlich ist klar, dass es eben die Toskana-Fraktion, die klassische, von jedem Berliner und Frankfurter Regionaljournalisten zu Tode metapherierte Toskana-Fraktion, nicht mehr gibt.

Jetzt ist es nicht mehr die Toskana, sondern Alto Adige. Merkel und Steinmeier, Deutschlands bedeutendste Politiker, waren auch dieses Jahr wieder wandern in Südtirol, wie das Tante Angela und Onkel Frank schon immer getan haben. Nichts gegen Südtirol. Ist sehr hübsch dort, auch wenn die Leute so reden, als seien sie Allgäuer mit einem Sprachfehler, wobei das Allgäuerische an sich schon eher ein Sprachfehler als ein Dialekt ist. Onkel Frank und Tante Angela passen gut nach Südtirol, wo zum letzten Mal so richtig etwas los war, als der Dolomitenkrieg tobte. Südtirol hat manchen berühmten Politiker hervorgebracht (Reinhold Messner, Luis Trenker), und es soll sogar einmal einen uneitlen Südtiroler Bergsteiger gegeben haben, den Innerkofler Sepp. Der kam 1915 am Paternkofel im Stabilisierungseinsatz gegen die Italiener zu Tode.

Von nun an ist also die Südtirol-Fraktion bedeutend. Nix mehr Guado al Tasso und Wildschwein in Weißwein, sondern Gewürztraminer und Kasknödel. Was braucht man Florenz, wenn man Bozen hat? In Glurns gibt's eine Stadtmauer fast wie in Lucca, und der Reschensee mit seinem Kirchturm ist so etwas wie San Gimignano, nur unter Wasser. Zur Südtirol-Fraktion passen hervorragend: Franz Josef Jung, Volker Kauder, Kajo Wasserhövel und natürlich Horst Seehofer. Der allerdings könnte auch der Toskana-Fraktion oder der Grönland-Gruppe angehören. Hauptsache, er muss keinen bestimmten Standpunkt vertreten, kann Merkel ärgern und ist weit weg vom Baron Guttenberg, der ihn sowieso in absehbarer Zeit verdrängen wird.

Die Toskana-Fraktion als politische Entität jedenfalls ist mit Rot-Grün dahingesiecht. Man kann zwar heute noch Otto Schily auf dem Campo in Siena begegnen. Man weiß aber nicht, ob es wirklich Schily ist oder nur ein dantesker Schatten, der im Morgennebel als eine Art ewiger Innenminster durch die Stadt irrt. Es heißt, das Schily-Gespenst könne erst Ruhe finden, wenn dereinst Kanzler Schröder von Béla Anda aus dem Maschsee getaucht wird und wieder die Regierung übernimmt. Dann aber für immer.

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Quelle:
SZ vom 14.8.2009
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