Kolumne: Deutscher Alltag:Laber-Asche

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Der Vulkan Eyjafjallajökull schafft jeden Tag, was bisher Anne Will oder Johannes B. Kerner, der menschgewordenen Erdnuss, vorbehalten war: die große Geschwätzwolke über Deutschland zu legen.

Kurt Kister

Der Vulkan ist zu belobigen. Der isländische Feuerberg nämlich hat das unstillbare Bedürfnis der Gesellschaft nach dröhnendem Geschwätz so deutlich entlarvt wie das sonst nur die von den missgünstigen Göttern gesandte Plage der Moderne, also die Fernseh-Talkshow, tut. Der Eyjafjallajökull schafft jetzt jeden Tag, was bisher Anne Will oder Johannes B. Kerner (ach, lange nicht mehr über die menschgewordene Erdnuss geschrieben) an ihren Auftrittstagen vorbehalten war: die große Geschwätzwolke über Deutschland zu legen.

Der Vulkan hat die Idealkonstellation zur Erzeugung nachlaufenden Großgeschwurbels geliefert, deshalb wird nun ständig darüber geredet und geschrieben. (Foto: Foto: AP)

Die Natur rächt sich an den Menschen

Allerdings hat der Vulkan auch die Idealkonstellation zur Erzeugung nachlaufenden Großgeschwurbels geliefert: Die Natur rächt sich am Menschen und vor allem an dessen Hybris, die Grenzen der Ortsgebundenheit überwinden zu wollen. So jedenfalls sieht das der durchschnittliche Zeit-Abonnent und jeder zweite Leitartikler. Notabene, dies bestätigt die These, dass jeder zweite Leitartikler Zeit-Abonnent ist. Diejenigen Leitartikler, welche die Zeit nicht lesen, schreiben selbst in der Zeit.

Wenn ein Vulkan ausbricht oder die Erde bebt, steht man als Intellektueller ja immer vor dem Problem, dass man was sagen soll, den Ausbruch oder das Beben aber nicht begrüßen darf. Das wäre unmoralisch. Prinzipiell bleiben einem zwei Möglichkeiten. Die erste ist die scharfe Auseinandersetzung mit den Behörden, die natürlich wieder auf nichts vorbereitet waren. Zwar hat man selbst schon seit Jahren besonders vor dem Eyjafjallajökull gewarnt. Der Verkehrsminister aber hat nur seinem Ruf als schöner, etwas unheller Mann entsprochen, Europa war und ist zerstritten und keiner - außer natürlich den deutschen Leitbloggern - weiß, was zu tun ist.

Die zweite Möglichkeit der Vulkan-Reflektion ist der philosophische Ansatz. Alles ist mit allem verbunden, und wenn in Island Lava fließt, dann stehen in Regensburg die Bänder still. Wie sehr sind wir abhängig vom Flugzeug, Herr Dr. Schirrmacher, das wir als einen materiegewordenen Strang des allesverbindenden Internets sehen können? Wie konnte es kommen, Herr Professor Sloterdijk, dass die hephaistischen Kräfte aus den Feuergrüften zu Strömungsabrissen in unserer nomadisierenden Gesellschaft führen? Und, hochverehrter Papst Benedikt, hat nicht schon der byzantinische Kaiser Teleologos davon gesprochen, dass Mohammeds geflügeltes Pferd allemal weniger zur allgemeinen Himmelfahrt beizutragen hat als ein katholischer Airbus 380-800?

Wie schön wäre es, schwiege denn der Eyjafjallajökull bald. Man könnte dann wieder ungeniert fliegen und müsste nicht mehr den ganzen Blödsinn über die Asche, den Menschen und das moderne Leben anhören.

© SZ vom 25.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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