Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Deutscher Alltag:Bodennahe Leberwurst

Schade, dass es immer weniger Dackel gibt. Diese Art von Hund ist nicht nur deutlich intelligenter als ein FDP-Staatssekretär, sondern besitzt auch Grundkenntnisse im Schafkopfen.

Kurt Kister

Neulich war irgendwo zu lesen, dass es immer weniger Dackel gebe. Das ist sehr bedauerlich, denn der Dackel ist nicht nur ein recht haltbarer Hund, sondern auch deutlich intelligenter als ein Delphin oder ein FDP-Staatssekretär. Außerdem ist der Dackel ein treuer Gefährte, der notfalls bereit ist, sich für seine Freunde aufzuopfern. In seiner kurzhaarigen Form ist der Dackel noch dazu jener Hund, der einer mobilen, bodennahen Leberwurst am ähnlichsten sieht.

Der italienische Afrikaforscher Gaetano Casati gilt als ein früher und entschiedener Dackelfreund. Major Casati, Autor des 1891 erschienenen zweibändigen Werkes "Zehn Jahre in Äquatoria und Rückkehr mit Emin Pascha", soll auf seinem Dackel in einem kleinen Holzgestell einen sechsschüssigen Revolver montiert haben. Mittels eines nahezu unsichtbaren Bindfadens konnte Casati, so heißt es, die Waffe auf dem Rücken des Dackels abfeuern. Der Dackel habe den Lärm stoisch ertragen, wohingegen feindselige Eingeborene vor dem feuernden Hund unter Gebrüll geflohen seien.

Dackel sind duldsam. In Berlin wird von einem Bücherschreiber erzählt, der, wenn ihm nichts mehr einfällt, seinen Dackel zur Hand nimmt und ihn an die Schulter anlegt, als sei er ein Schießgewehr. Der Hund, dies erzählen an und für sich verlässliche Zeugen, versteife sich dann nach der Art einer Salatgurke, sodass der Schriftsteller über den Hinterkopf des Dackels in die Ferne visieren kann. Und in der Ferne wohnt bekanntlich die Weisheit. Der Autor nennt diese, dem Yoga verwandte Übung "mein Dackelgewehr", im Internet soll es Fotos davon geben. Das Dackelgewehr, sagt der Schriftsteller, habe ihm manche Inspiration für schwierige Passagen gegeben, die er, am Computer ins Leere grübelnd, ohne den Dackel zunächst nicht zu Ende habe bringen können.

In Bayern war der Dackel früher der klassische Wirtshaushund. Sein Halter war meist ein älterer, übergewichtiger Mann, der aussah wie eine Mischung aus dem Schauspieler Walter Sedlmayr und dem Komödianten Henryk Broder. Der Dackel saß unter dem Tisch. Dort schlief er aber, anders als andere Hunde, nicht. Bis weit in die sechziger Jahre hinein hatten viele bayerische Dackel Grundkenntnisse des Schafkopfens.

Mit gewissen sanften Bissen in Knöchel und Unterschenkel ihres Herrchens konnte manches Tier so den Verlauf des Kartenspiels beeinflussen, zum Beispiel, wenn ein gegnerischer Spieler sein Blatt unvorsichtigerweise so in der baumelnden Hand gehalten hatte, dass der Dackel Einblicke gewann. Der bayerische Fluch "du Hund, du varreggda" geht auf solche Dinge zurück. Gerade zu Weihnachten, da man an manches denkt, was man vermisst, sollte man den Dackel nicht vergessen.

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SZ vom 19.12.2009/iko
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