Süddeutsche Zeitung

Kohl: Sohn spricht in "Bunte":Telegramm vom Schattenvater

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Frühe Gedanken an Selbstmord und eine späte Nichteinladung zur Hochzeit des Vaters: Walter Kohl über das Leben als Kanzlersohn.

Hans Hauert

Es könnte ein beklemmendes Szenario für einen neuen Film von Christian Petzold sein, doch es ist eine Schilderung aus dem idyllischen Oggersheim in der Pfalz, wo Walter Kohl seine Kindheit und Jugend als ältester Sohn des Spitzenpolitikers Helmut Kohl verlebte: "Regelmäßige Wege, zum Beispiel die zur Schule, wurden nur unter Polizeischutz gefahren, und ich konnte im Alter von zwölf Jahren eine Heckler-&-Koch-Maschinenpistole, die auf der Rückbank des SEK-Wagens lag, zerlegen und wieder zusammensetzen - ohne dass die Beamten es bemerkten."

Der 45-jährige Walter Kohl erzählt dies in der aktuellen Ausgabe des Magazins Bunte, in der er mit Lars Brandt, 57, Sohn von Willy Brandt, und Konrad Adenauers Enkel Sven, 48, über das Familienleben politischer Legenden spricht. In dem lesenswerten Gespräch finden die drei Männer einige griffige Formulierungen für das ungewollte Leben in der Öffentlichkeit und mit einem Familienoberhaupt, das sich als lebendiges Denkmal begreift.

Senecaeskes Aussitzen

So spricht Walter Kohl, der sich erstmals zu seinem Leben als Kanzlersohn äußert, von dem "sichtbaren Rucksack", als den er den Selbstmord seiner Mutter im Jahr 2001 immer noch bezeichnet: "Ich war damals 38 Jahre alt und innerlich aus verschiedenen Gründen an einem Scheidepunkt in meinem Leben angekommen. Ich stand vor einer Entscheidung und wollte nicht ihrem Beispiel folgen."

Aus seinen verzweifelten Grübeleien habe ihm der antike Philosoph Seneca heraus geholfen, der ihn Gelassenheit lehrte. Vater Kohl wollte seine Kinder Walter und Peter zwar auch die gewissermaßen senecaeske Fähigkeit des stoischen Aussitzens lehren, aber für sie war es in der Schule nicht so leicht, ihre Gegner durch das pure Nicht-weichen-Wollen zum Verstummen zu bringen. Habe sein Vater in den Augen der Mitschüler falsche Entscheidungen gefällt, sei er von ihnen zusammengeschlagen worden, erinnert sich Walter.

Helmut Kohls familiärer Einfluss beschränkte sich meist auf den eines "Schattenvaters", ein Begriff, den Walter Kohl aus einem Film über Willy Brandt entnimmt. Überhaupt werfen die Alten in den Schilderungen der Nachgeborenen gegenseitig Schlaglichter auf sich: Wenn Lars Brandt sagt, "penetrante Dominanz" habe seinem Vater völlig gefehlt, ahnt man, dass die beiden anderen Patriarchen davon umso mehr hatten.

Die geistige Hornhaut

Lars Brandt sprach sieben Jahre lang nicht mit seinem Vater; Walter Kohl sagt zwar, er habe seinen Frieden mit seinem Vater gemacht, gibt aber zu, irritiert gewesen zu sein, als er und sein Bruder vor drei Monaten nicht zur zweiten Hochzeit seines Vaters eingeladen worden waren. Sie wurden danach durch ein "Dreizeilentelegramm" über die Ehe mit Maike Richter-Kohl informiert. Wenig später konnten sie die Details in einer prächtigen Reportage in Bild ("Alle Fotos". "Die Feier". "Die Gäste". "Die Reden") nachlesen, die Chefredakteur Kai Diekmann persönlich auf die letzte Seite getupft hatte.

Doch auch für diesen Affront hat Walter Kohl aus heutiger Sicht Verständnis und nennt es "Kraft der Versöhnung" - wobei es Sven Adenauers Formulierung der "geistigen Hornhaut" wohl besser trifft. Die drei Jungen zeigen sich, zumindest in medialen Verlautbarungen, zu manch klarsichtigeren Einsichten fähig als die Vorfahren. Um so bemerkenswerter, da sie ihren Geist von allerlei frei halten mussten.

Schon Seneca wusste: "Niemand irrt für sich allein. Er verbreitet seinen Unsinn auch in seiner Umgebung."

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