Süddeutsche Zeitung

Kölner Stadtarchiv - die Leiterin buddelt:Der Heinrich aus der Asche

"Spätestens im Sommer brauche ich ein Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum": Die Bergung der verborgenen Schätze, darunter der Böll'sche Nachlass, hat gerade erst begonnen.

Catrin Lorch

Die Kartons aus dem Nachlass des Schriftstellers Heinrich Böll waren seit einer halben Woche im Haus. Eine Mitarbeiterin sichtete gerade die erste Kiste mit Papieren, als das Stadtarchiv einstürzte. Bevor die Bagger durchs Haus fuhren, um die Nachbargebäude niederzureißen, durfte man diesen einen Karton unversehrt aus dem Büro holen - was mit dem Rest, 12 bis 15 Stück vielleicht, im ersten Stock geschehen ist, der viele Meter in die Tiefe stürzte, weiß niemand.

"Wir haben bis heute zwei Regalkilometer Archivmaterial aus den Trümmern geborgen, aber die Zuordnung ist schwierig", teilt die Amtsleiterin des Historischen Archives der Stadt Köln, Bettina Schmidt-Czaia, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mit, zu der sie die Freunde des Stadtarchivs eingeladen hatte, ein seit zweieinhalb Jahren bestehender Verein. Zusammen mit andernorts gelagerten vier Kilometern Material ergibt das geborgene Gut immerhin sechs von insgesamt 30 Regalkilometern Archivbestand.

"So eine Bergung ist kein Sprint, eher ein Marathon", sagt die Direktorin, die noch vor ein, zwei Wochen verzweifelt wirkte angesichts des unschätzbaren Verlustes. Nun macht ihre Haltung deutlich, dass sie nichts dramatisieren möchte. Sowohl die durch tagelangen Regen und Grundwasser durchnässte Grube wie auch die Halle, in der das Ausmaß der Schäden sichtbar wird, sind in der Domstadt Kulissen für eine heftige Diskussion um Ursache und Verantwortlichkeit. In pragmatischem Tonfall berichtet Schmidt-Czaia von 100 Spezialisten und Restaurierungsfortschritten: "Spätestens im Sommer, nahtlos an die Phase der Bergungsarbeiten anschließend, brauche ich ein Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum."

Kollegial haben Archive in ganz Deutschland freie Regalmeter zur Verfügung gestellt, Kölner Historie reist jetzt bis nach Potsdam und Berlin: Kein Zustand für eine Einrichtung, deren Wert auch in der Verfügbarkeit und Aufbereitung ihrer Schätze besteht. Vor einem Jahr erst hatte das Stadtarchiv mit der Digitalisierung der Bestände begonnen, ein digitaler Lesesaal soll jetzt so schnell wie möglich entstehen, dafür kooperiert man mit den Universitäten in Köln und Bonn. Die Freunde des Historischen Archives machen sich derweil Hoffnungen, dass sich ihre Vereinigung zur Bürgerinitiative auswächst.

Es trifft sich, dass unter den Funden auch die Aufzeichnungen von Hermann von Weinsberg waren, einem im Jahr 1519 geborenen Kölner Ratsherrn, der über 12 Jahre hinweg fünf dicke Bücher mit einer Chronik aus Weltgeschichte und Domstadt-Klatsch füllte. Als Band III vom Tintenfraß befallen wurde, haben die Freunde ihn im vergangenen Jahr restauriert, für 6800 Euro. Das kleine Wunder passt zur eigenartig positiven Bilanz des Vereins, der seit dem Einsturz 35 neue Mitglieder verzeichnet, insgesamt 250, darunter jetzt auch Oberbürgermeister Schramma.

Doch die Freunde verhandeln vor allem um die künftige Unterbringung des Stadtarchivs. Wenn Franz Irsfeld, der stellvertretende Vorsitzende, sagt, "das Archiv war schon vollgelaufen", dann geht es nicht um die Katastrophe, sondern um die Kapazität. Man war nach dem Umzug im Jahr 1971 an die Grenzen der Auslastung gekommen. "Wir wollen ein Bürgerarchiv an zentraler Stelle." Jetzt, nach dem Einsturz, stehe man jedoch unter Handlungsdruck. Während Kulturdezernent Georg Quander in Zeiträumen von etwa einem halben Jahrzehnt rechne, bis in einem Neubau "die Wände trocken" seien, drängen Verein und Direktorin, dass sich das Archiv eine so lange Auszeit nicht leisten dürfe - und Schmidt-Czaia betont: "Entgegen irriger Vorstellungen, das neue Archiv müsse gar nicht mehr so groß sein wie das alte, werden wir mehr Raum brauchen. Aus praktischen Gründen. Was einmal aufgequollen ist, braucht danach mehr Platz."

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SZ vom 26.03.2009/irup
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