Kölner Philosophiefestival:Saufen und Glück

Alkoholkomsum in einer Bar

Kulturleistung oder Ausdruck von Krankheit: Der Besucher einer Szene-Bar genehmigt sich einen Drink.

(Foto: dpa)

Ein Hedonist und ein trockener Alkoholiker streiten auf dem Kölner Philosophiefestival darüber, ob das Saufen zum Glück gehört - oder ihm entgegensteht. Der Asket hat die besseren Argumente.

Von Jannis Brühl, Köln

In der Philosophie geht um es die großen, universellen Fragen: Was ist das Gute? Wer ist der Mensch? Was soll das alles? Und es gibt die kleinen, aber nicht minder wichtigen Fragen. Zum Beispiel: Soll ich mich besaufen? Beziehungsweise, oft in Thekennähe: Warum sollte ich nicht?

Für das "Warum nicht?" wirbt Robert Pfaller. Der Wiener Philosophieprofessor, der das Leben nur dann für lebenswert hält, wenn wir miteinander feiern, trinken und schlafen, sitzt auf einer Bühne des Kölner Philosophiefestivals Philcologne. Mit dem Journalisten Daniel Schreiber, der in der Askese das Lebensglück gefunden zu haben glaubt, diskutiert er über die Frage, ob Alkohol und Glück vereinbar sind oder nicht.

Pfaller spricht mit Wiener Schmäh, lacht viel, lobt das Biertrinken mit Freunden und Kollegen. Den Genuss von Alkohol sieht er als Auflehnung gegen eine Kontrollgesellschaft, die nur noch Arbeit und Verbote kenne. Ein Stück Freiheit, die im Gesundheitswahn verlorengehe.

Pfallers Gegenspieler lacht deutlich seltener. Ihm ist es ernst. Er war Kulturchef des Magazins Cicero, trank viel, zu viel, hörte irgendwann auf und veröffentlichte vergangenes Jahr ein Buch darüber. Es heißt: "Nüchtern".

Schreiber malt darin die "Pathologie des Katers" aus, was schwere Kost ist: Einerseits, weil er über seine persönliche Krise, die Abstürze, Kater und Depressionen so schonunglos schreibt, wie man es höchstens aus den USA kennt. Andererseits, weil sich viele Leser darin wiedererkennen, einige sogar Hilfe bei ihm suchen (sein Tipp: "Such Dir ne' Selbsthilfegruppe!"). Denn Schreiber geht es nicht um den vermeintlich schmuddeligen Alkoholismus an den Rändern der Gesellschaft, der so weit weg zu sein scheint, sondern den mittendrin: in coolen Bars, auf Vernissagen oder den Rängen einer Pferderennbahn.

Schmaler Grat zwischen Libertin und Süchtigem

Pfaller vergleicht das Trinken mit der Melange in Wiener Kaffehäusern: Nicht der Stoff, sondern die dazugehörigen Rituale, die Kulturleistung seien, was uns daran bindet. Er sieht ein "neoliberales" Regime am Werk, dass die Menschen disziplinieren will, auch die Weltgesundheitsorganisation vertrete dubiose Interessen, er vergleicht sie mit dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP. Sein Albtraum ist, dass die EU Fotos geschädigter Lebern auf Weinflaschen drucken könnte.

Es macht Spaß, Pfaller zuzuhören, wie er das wilde Leben feiert. Die Bar und das dritte Bier wären ja nah. Nur sitzt neben ihm der lebende Beweis, dass man sich den Alkoholrausch leisten können muss. Es ist schließlich ein schmaler Grat zwischen Libertin und Süchtigem, in diesem Fall trennt sie nur ein kleiner Tisch mit Karaffen voller Wasser.

Schreiber lacht immer weniger, je länger Pfaller redet, verschränkt Arme und Beine immer entschlossener: "Ich muss immer die Fassung bewahren bei dieser Verharmlosung." Er sieht sich als Tabubrecher. Mit alkoholkranken Promis beschäftige sich der Durchschnittsbürger nur, wenn sie weit weg schienen: "leichtbekleidete, junge Frauen" wie Lindsay Lohan oder Jenny Elvers oder "Witzfiguren" wie Harald Juhnke.

Dabei sei Alkoholismus eine Krankheit, die entweder als Kulturleistung oder als sympathisches Abweichlertum verbrämt werde: "Das ist sehr viel mehr als eine skurrile Verrücktheit."

"Ich war selbst elf Jahre in Analyse"

Schreiber argumentiert mit der Neurobiologie, mit stofflichen Veränderungen im Gehirn durch Alkoholsucht. Pfaller hält nichts von der Neurobiologie, dieser "lächerlichen Parodie". Sie könne nie Psychoanalyse und Psychologie ersetzen, wenn es darum gehe, herauszufinden, warum Menschen denn überhaupt trinken. Alkoholsucht sei manchmal besser als Arbeitssucht oder andere Abhängigkeiten.

Aber Pfallers Nonchalance prallt immer wieder auf Schreiber und seine Lebensgeschichte. Der sagt nur trocken: "Ich war selbst elf Jahre in Analyse."

Schreiber, der zum schwarzen Hemd Laufschuhe trägt, als wolle er gleich wieder seinem neuen, asketischen Leben nachjagen, fällt etwas aus dem Rahmen der Philcologne. Er setzt den meist interessanten, aber auch distanzierten Betrachtungen vieler Redner seine persönliche Geschichte entgegen.

In den Tagen zuvor durfte zum Beispiel Harald Schmidt auf der Bühne über das Alter plaudern - natürlich eher in Form von Witzen als Bekenntnissen: Er sehe seine Zukunft in der Kreuzfahrtindustrie, auf die ständig hin- und herfahrenden Schiffe könne man ja "den Hospizgedanken erweitern".

Der griechische Außenminister und Politologe Nikos Kotzias bewies, wie charmant er auf Deutsch reden kann - und wie knallhart er zu einem vermeintlichen deutsch-europäischen "Kolonialismus" steht.

Rolle des Spaßverderbers

Gar nicht reden durfte Peter Singer. Der australische Philosoph wurde ausgeladen, weil ihm vorgeworfen wird, es zwar mit den Tierrechten sehr ernst zu meinen, mit den Menschenrechten, zum Beispiel denen schwerbehinderter Kinder, hingegen nicht. Wobei die Veranstalter sich fragen lassen müssen, was das für ein Philosophie-Festival ist, das den wirklich harten intellektuellen Auseinandersetzungen aus dem Weg geht.

Im Vergleich dazu bergen Schreibers Auffassungen weitaus weniger Konflitkpotenzial, aber er muss die Rolle des Spaßverderbers spielen. Und der hat in diesem Fall die besseren Argumente. Pfaller beschreibt zwar anschaulich eine lustfeindliche Kontrollgesellschaft, zum Beispiel die "Schnüffelpolizei": die an einigen US-Behörden übliche Praxis, Mitarbeitern Parfüm zu verbieten.

Anders genießen? Da lacht das Publikum

Wenn Pfaller ruft "Junger Mann, Sie haben die Siebziger nicht miterlebt!", antwortet Schreiber nur: "In den Siebzigern konnte kein schwuler Mann leben wie ich heute." Frauen und Schwarze auch nicht. Da sagt Pfaller nichts mehr.

Von der Genussfeindlichkeit, von der Pfaller spricht, ist in Köln ohnehin generell wenig zu spüren. Die Veranstaltung findet im "Stadtgarten" statt, draußen sitzen die Menschen im Biergarten und trinken. Und vor der Tür beginnt das Belgische Viertel, an dem sich jedes Wochenende Tausende Menschen auf den Straßen vergnügen.

Als Moderator Florian Kessler, der sich auf Schreibers Seite geschlagen hat, fragt: "Können wir nicht einfach anders genießen: Fahrrad fahren, vegetarisch essen, ein alkoholfreies Weizen trinken?", lacht das Publikum. Und zwar höhnisch. Dann schlürft es weiter Spritz und Kölsch.

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