"Knast" von Gefängnisarzt Joe Bausch:In der U-Haft sind sie alle gleich

Mehr als fünfzig Suizide, Selbstverstümmelungen, Gewalt und Erpressung: Der Gefängnisarzt und "Tatort"-Pathologe Joe Bausch blickt kritisch zurück auf 25 Jahre Alltag hinter Gittern. Und beschreibt, wie die RAF das Dogma "Bete und büße" verändert hat.

Till Briegleb

Es ist noch nicht so lange her, da galt seriöse medizinische Versorgung für Schwerverbrecher im Strafvollzug als Hohn. Warum soll man denn Kindermördern, Vergewaltigern, Totschlägern und besonders Lebenslänglichen ihre Strafe noch durch Schmerzfreiheit und teure Medikamente versüßen?

'Kriminalzeit' mit Joe Bausch

Hermann-Joseph Bausch-Hölterhoff - durch seine Nebentätigkeit als Pathologe Dr. Joseph Roth im Kölner "Tatort"  bekannt - hat wesentliche Verbesserung der medizinischen wie der allgemeinen Haftbedingungen erlebt.

(Foto: dpa)

Das war die weit verbreitete Haltung zumindest bis in die achtziger Jahre. Als Hermann-Joseph Bausch-Hölterhoff im Jahr 1987 in der Justizvollzugsanstalt Werl als Gefängnisarzt begann, da bewiesen die absolut mangelhafte Ausstattung seiner Anstaltspraxis sowie die fehlenden Therapieangebote für seine Patienten klar, dass der staatlichen Fürsorge immer noch ein antiquiertes Schuldverständnis aus der Zeit der Zuchthäuser zugrunde lag. "Bete und büße", der Spruch, der über der Gefängniskirche der 1906 erbauten Anstalt in Westfalen prangen könnte, prägte auch im demokratischen Staat noch jahrzehntelang die Haltung der Gesellschaft zu ihren Straftätern.

Hermann-Joseph Bausch-Hölterhoff - durch seine Nebentätigkeit als Pathologe Dr. Joseph Roth im Kölner "Tatort" und als regelmäßiger Talkshowexperte besser bekannt unter seinem Künstlernamen Joe Bausch - hat in seinem Hauptberuf eine wesentliche Verbesserung der medizinischen wie der allgemeinen Haftbedingungen erlebt. Verantwortlich für den Wandel waren laut Joe Bausch vor allem zwei Gruppen: seine Generation der Gefängnisärzte und die RAF.

Abschaffung von Gemeinschaftszellen, breites Therapieangebot

Jüngere Mediziner - so Bausch in seinem jetzt erscheinenden Buch, einem detaillierten Rückblick auf 25 Jahre Alltag hinter Gittern mit dem Titel "Knast" - hätten die autoritäre Disziplinareinstellung der Nachkriegsärzte völlig neu justiert. Und die Mitglieder der Roten Armee Fraktion mit ihren Hungerstreiks für bessere Haftbedingungen stießen eine überfällige Diskussion an, die im Resultat allen Gefängnisinsassen zugutegekommen sei. Doch das, so Bausch in seinem kritischen Resümee zu den Bemühungen um einen modernen Vollzug, sei noch lange nicht genug.

Denn die Anamnese, die Bausch aus seiner intimen Kenntnis des Knast-Alltags gewinnt, ergibt doch mehr eine Leidensgeschichte als eine erfreuliche Diagnose. Über fünfzig Selbstmorde während seiner Amtszeit stehen ebenso auf dem Krankenblatt des Strafvollzugs wie Selbstverstümmelungen, Gewalt und Erpressung, sowie ein überproportional hoher Anteil an schweren psychischen Leiden, die nicht adäquat behandelt werden.

Als Arzt mit Schweigepflicht kann Bausch natürlich in die Chemie der Gefangenenseele mehr Einblicke gewinnen, als es einem normalen Schließer möglich ist, dem sich kein Gefangener anvertraut. Dadurch sind seine Beschreibungen des weggeschlossenen Lebens von einer besonderen Empathie geleitet, und seine kritischen Anmerkungen bekommen ein besonderes Gewicht.

Wesen des Bösen

Die Liste der praktischen Forderungen, die Joe Bausch aus seinen Erfahrungen ableitet, ist dann auch entsprechend fundiert und lang. Mehr und besser bezahltes Personal, darunter verstärkt Beamte mit Fremdsprachenkenntnissen in den gängigsten Knastsprachen, seien ebenso dringend geboten wie die Abschaffung von Gemeinschaftszellen und ein breites Angebot an gezielten Therapieangeboten.

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Bausch entwickelt eine Typologie der Knastinsassen und beschreibt die besonderen Schwierigkeiten von prominenten Sträflingen.

(Foto: dpa)

Schließlich litten mehr als fünfzig Prozent der Schwerverbrecher an massiven Persönlichkeitsstörungen (im Verhältnis zu fünf Prozent in der Gesamtbevölkerung), und eine mögliche Rückkehr in die Gesellschaft sei ohne psychologische Kur kaum gefahrlos möglich. Aber auch die fehlenden Supervisionen für das Vollzugspersonal oder eine unangemessene Sterbebegleitung für Lebenslängliche und Sicherheitsverwahrte konstatiert Bausch in seinem Buch als einen schweren Mangel des deutschen Knastwesens.

Würde sich Bauschs Gefängnisanalyse auf dieses politische Vernunftprogramm beschränken, könnte das Buch kurz sein. Aber sein Anspruch ist es, diese maligne Gesellschaftszelle möglichst vollkommen transparent zu machen. Ohne seine Patienten namentlich zu nennen, erzählt Bausch in Fakten und Anekdoten vom typischen Knastgeruch wie vom Phänomen "knastschwul".

Nüchterne und würdige Betrachtung von Kriminalität

Er erklärt, warum Manager und Junkies sich in Untersuchungshaft ähnlich verhalten. Er beschreibt exemplarisch erschütternde Fälle wie die Geschichte eines ehemaligen Kindersoldaten oder einer Kindsmörderin, die von der Schwangerschaft überfordert so viel fraß, dass niemand Verdacht schöpfen konnte, und das Neugeborene dann sterben ließ. Er entwickelt eine Typologie der Knastinsassen und beschreibt die besonderen Schwierigkeiten von prominenten Sträflingen. Wissenschaftliche Studien über den Zusammenhang von Hirnveränderungen und Kriminalität, Fragen nach dem Wesen des Bösen und dem extremen Unverhältnis von Männern zu Frauen bei den verurteilten Tätern (70.000 zu 5000) widmet Bausch ebenso Kapitel wie schnurrigen Porträts von Ausbrecherkönigen.

Dass "Knast" stellenweise ein wenig eitel gerät, wenn Joe Bausch über sich selbst als Arzt und Künstler spricht, kratzt nur unwesentlich am Verdienst dieses Buches. Als Mediziner in einem Gefängnis, das vorwiegend Langzeitinsassen und Sicherheitsverwahrte beherbergt, gelingt dem Autor eine im Kern nüchterne und würdige Betrachtung von Kriminalität, die der alten Haltung von Rache und Sühne eine komplexere Sicht entgegensetzt.

Verständnis für die komplizierte Ursachenlage von Gewaltverbrechen und ein klares Bekenntnis zur Würde des Menschen erklärt Bausch zu den fundamentalen Voraussetzung, um brauchbare Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was diesen Teil der Gesellschaft dazu bewegt, böse, grausam oder ungerecht zu handeln. Und mit dieser Perspektive ist "Knast" dann doch vor allem ein Buch über die Fehler jener, die nicht drinnen sitzen. Denn interessanter als ein Verbrechen ist letztlich die Frage, warum man es nicht verhindern konnte.

Joe Bausch: Knast. Ullstein Verlag, Berlin 2012. 282 Seiten, 19,90 Euro.

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