Klimawandel in Spanien:Glühende Landschaften

30 Jahre lang haben die Spanier gebaut, gepflanzt und gelebt, als wüssten sie nicht, wie extrem und unwirtlich ihr Klima ist. Nun versteppt das Land. Ein Wetterbericht.

Rafael Chirbes

Das Klima wandelt sich. Hierzulande merkt man es nur peripher. Andere Gegenden verändern sich jedoch dramatisch. Aber wirkt sich das auch auf den Alltag aus? Wir haben Schriftsteller, Publizisten und Wissenschaftler in aller Welt gefragt, inwieweit sie den Klimawandel schon heute spüren. Uns erreichten alarmierende Texte genauso wie eher belustigte Betrachtungen. Während die sibirische Tundra in rasender Geschwindigkeit auftaut, verwandeln sich die Briten offenbar in ein Volk von Sonnenanbetern. Heute setzen wir unsere Serie fort mit einem Stück aus Spanien, das einigen Studien zufolge schon bald versteppen und verwüsten wird. Der Romanautor Rafael Chirbes glaubt nicht, dass das mit dem Klimawandel zu tun hat.

Klimawandel in Spanien: Mediterrane Umweltzerstörung : der ausgetrocknete Arenos-See in Ostspanien:

Mediterrane Umweltzerstörung : der ausgetrocknete Arenos-See in Ostspanien:

(Foto: Foto: AP)

Der vergangene Herbst war besonders regnerisch. Im Oktober fielen in dem Landkreis, in dem ich lebe, in wenigen Tagen Hunderte Liter Wasser pro Quadratmeter vom Himmel.

Ich habe selten so einen Regen erlebt. Die dichten flüssigen Vorhänge vermittelten einem im Inneren des Hauses das Gefühl, in einem U-Boot zu sitzen.

Der Fluss Girona trat über die Ufer, riss die Vegetation mit, die sich an seinem Ufer gebildet hatte, bildete einen Stausee, da das Wasser die verstopfte Öffnung der Brücke zwischen den beiden Ortsteilen von Berniarbeig nicht mehr passieren konnte und setzte die alten Steine der Brücke einem solchen Druck aus, dass sie schließlich nachgaben. Das Wasser ergoss sich daraufhin in die Ebene, die sich bis zum Meer erstreckt. Auf seinem Weg überschwemmte es drei kleine Dörfer, Bauernhöfe, Felder, Gärten, und selbst noch Siedlungen an der Küste.

Rötliche Wassermassen

Von meinem Fenster aus sah ich, wie sich unter der schwarzen Kuppel der dichten Wolken das Tal von Girona und die ganze Ebene in einen rötlichen Tümpel verwandelten.

Das Fernsehen zeigte spektakuläre Bilder und übertrug den Zusammenbruch der Brücke sogar live. Das Bild der rötlichen Wassermassen, die die Ruine forttrugen, fand sich auf allen Titelseiten der Zeitungen und in allen Fernsehnachrichten wieder.

Wie zu erwarten war, schob ein Großteil der Medien dem Klimawandel die Schuld an der Katastrophe zu. "Die zerstörerischen Phänomene werden immer häufiger" wurde in vielen Artikeln behauptet, wobei in Vergessenheit geriet, dass noch einige Tage vor dem Unwetter der Klimawandel für die Trockenheit und die enorm hohen Temperaturen verantwortlich gemacht wurde.

Die Oktoberunwetter, die eine Sintflut an Kommentaren ausgelöst hatten, waren gerade vergessen, da wurde der Klimawandel schon wieder ins Gespräch gebracht.

Die Zeitungen argumentieren immer gleich

Nun war aber wieder die Rede von Dürre und Erwärmung: Der Winter war zu mild gewesen, der Regen glänzte durch Abwesenheit. Als es dann im Mai und Juni sehr kalt und regnerisch war, brachte man natürlich ebenfalls die Theorie des Klimawandels in Spiel.

Kurzum, das Wetter mag sein, wie es will, die Zeitungen argumentieren immer gleich: Das Klima hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns ständig zur Last zu fallen und dieses zur Last fallen ist so etwas wie die gerechte Strafe für den Schindluder, den der Mensch mit der Mutter Natur getrieben hat. Leider bin ich kein Optimist, ich glaube nicht daran, dass in dieser Welt alle Schuld mit einem angemessenen Maß an Strafe vergolten wird.

Ja, ich habe nicht einmal den Eindruck, dass sich das Klima meiner Heimat durch die Brutalität, mit der der Mensch der Natur zu Leibe gerückt ist, im letzten Jahrhundert verändert hätte.

Unerbittliche Akribie des Schicksals

Es regnet nicht mehr und nicht weniger als früher, es ist genau so warm oder kalt und die Unregelmäßigkeiten nehmen auch nicht zu. Nicht einmal die vorhin beschriebenen Überschwemmungen sind heftiger als die, die wir früher erlebt haben.

Tatsächlich fiel das Hochwasser, bei dem der Girona-Fluss Berniarbeig überschwemmte, auf den 50. Jahrestag der Katastrophe von Valencia, die Überschwemmung, die die drittgrößte Stadt des Landes einebnete und zweihundert Tote zur Folge hatte.

In diesem Fall sollte man weniger vom Klimawandel als vielmehr von einer unerbittlichen Akribie des Schicksals sprechen: Während sich die Gesellschaft darauf vorbereitete, der Opfer des Unglücks vom 12. Oktober 1957 zu gedenken, feierte die Natur sich selbst, indem sie das Spektakel nahezu textgetreu noch einmal aufführte, wobei diesmal nur ein Toter zu beklagen war.

Es scheint als hätten die Spanier über der Begeisterung, endlich ein Teil von Europa oder der Welt zu sein, die Eigenheiten ihres eigenen, des mediterranen Klimas vergessen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie Eingriffe in die Landschaft die Launen des Wetters beeinflussen.

Glühende Landschaften

Plötzlich erstaunt uns etwas, das schon immer so gewesen ist, wie es ist. Schon die Geographiebücher im Erdkundeunterricht lehrten uns in unserer Jugend, dass es auf der iberischen Halbinsel ebenso selten wie unregelmäßig regnet.

Es fällt wenig Wasser und das wenige, das fällt, konzentriert sich immer auf ein paar Tage im Oktober. Unsere Landschaft zeichnet sich durch enorme Flussbetten aus, durch die einige Monate lang breite Ströme fließen und die den Rest des Jahres schlicht trocken sind. Man nennt sie deshalb auch die unendlichen Laufstege des Nichts.

Noch vor kurzem wussten die Bewohner dieser Landstriche, dass das Wasser bei den jähen, gewaltigen Überschwemmungen diesen Flussbetten folgt, die wir Ramblas nennen und denen wir immer misstraut hab.

Bittere Verse

In einem valenzianischen Sprichwort heißt es ironisch: "Vora riu no fasses niu", baue Dein Nest nicht am Flussufer. Während sich in Mitteleuropa die Städte oft direkt am Rande von Flüssen bildeten, so dass diese heute durch die alten Stadtzentren fließen, fließen die spanischen Flüsse durch suburbane Landschaften, durch das Brachland weit vor der Stadt.

Die Städte brauchten das Wasser ebenso wie sie es fürchteten. Schon die arabischen Dichter betrauerten mehr als einmal das von den Hochwassern des Turia zerstörte Valencia. Aus dieser Zeit sind uns bittere Verse überliefert, in denen vom Schlamm zerstörte Gärten, Ratteninvasionen und auf dem Fluss treibende Kadaver beschrieben werden.

Als mein Vater ein kleiner Junge war, verließ mein Großvater sein Haus in Algemesi. Er war es leid, dass der Júcar-Fluss es ständig überschwemmte. Unglücklicherweise lag auch sein neues Haus in Denia in einem moorigen Gebiet, dass alljährlich unter Wasser steht und in dem sich sonst nur die Ärmsten der Armen niederlassen.

Unbesiedelt - bis die Touristen kamen

Wie kommt es aber, dass die mediterrane Dürre einen breiten Gürtel moorigen, feuchten Landes an der Küste zulässt? Die Sümpfe der französischen Camargue, des italienischen Po-Gebiets, die Moore an der tunesischen Küste oder der Nationalpark Albuferra in Valencia sind Reste solcher Lebensräume, die die Menschen seit Jahrhunderten urbar zu machen versuchen, in denen sie aber aus gesundheits- wie sicherheitsbedingten Gründen kaum siedelten.

Selbst die Schäfer, die vor der Trockenheit der Berge in die fruchtbaren Niederungen mit ihren gemäßigten Temperaturen flohen um dort als Landwirte und Händler zu leben, mieden die Meeresufer. Diese blieben über Jahrhunderte hinweg unbesiedelt - bis die Touristen kamen.

Sollen wir uns tatsächlich auf den Klimawandel berufen, wenn ein Landstrich überschwemmt wird, der über Jahrtausende hinweg ein Sumpf war? Sollten wir nicht lieber über die Folgen einer Urbanisierung sprechen, die zunächst ein Improvisorium und später die Folge genereller Korruption war?

Die Launen des mediterranen Wetters

Niemand kann leugnen, dass die Erdatmosphäre schwer angegriffen ist durch all den widerwärtigen Dreck, den die Menschheit in jenen großen Müllbehälter schleudert, zu dem sich der Himmel längst entwickelt hat. Aber man muss gerecht bleiben, wenn man nach den Verantwortlichen für den Zustand unserer Umwelt fragt.

Ich weiß nicht, ob das Klima sich ändert, ich weiß aber, dass in die Landschaft so intensiv wie brutal eingegriffen wurde, und diese Eingriffe lassen uns die Launen des mediterranen Wetters stärker spüren.

Die Hänge der Berge haben sich mit Ferienhäusern gefüllt, oft wurde auch in den Schluchten und Flussläufen, die trocken und sicher zu sein scheinen und sich dann rasend schnell mit Wasser füllen, gebaut. Die gesamte Küste wurde besiedelt - auch an Orten, die noch vor einigen Jahren schlammige Moore waren und an denen niemand leben wollte.

Herbergen für Tausende und Hunderttausende

Ja, es stimmt, die Trockenzeiten der Flüsse sind heute länger und die Quellen versiegen im Sommer. Doch ich glaube nicht, dass dies daher rührt, dass es weniger regnet. Ortschaften, die früher nur einige hundert Bewohner hatten, beherbergen heute das ganze Jahr über Tausende und im Sommer in manchen Fällen sogar Hunderttausende.

Lesen Sie auf der dritten Seite, wie der Klimawandel in Spanien politisch instrumentalisiert wird.

Glühende Landschaften

Der ganze mediterrane Raum ist zu einem bis unters Dach mit Licht getäfelten Badezimmer verkommen, zu einem wohlklimatisierten Wohnzimmer mit kostenloser Energie, in dem die Pensionäre aus halb Europa und aus der ehemaligen Sowjetunion wohnen wollen.

Es ist der Druck dieser Massen, diese neue urbane Freizügigkeit, die das sensible Wassergleichgewicht durcheinander gebracht hat. Die Hotelgäste duschen drei mal täglich, die Schwimmbecken der Ferienanlagen sind immer gefüllt.

Kokette und prächtige Villen

Wenn schon der Massentourismus mit seinen mächtigen Apartmentblocks schädlich für das Wassergleichgewicht war, so ist es noch vielmehr jener Tourismus, der auf den ersten Blick ökologischer erscheint: Der Tourismus der horizontalen Gebäude, der koketten und prächtigen Villen mit je einem Swimmingpool und eigenem Garten mit wasserprassender Sprinkleranlage.

Man könnte sagen, die mediterrane Umweltzerstörung schreitet nicht im majestätischen Gang des Klimawandels voran, sondern mit der Schnelligkeit, mit der am Ende des vergangenen Jahrhunderts Geschäfte gemacht wurden, und mit jener nervösen Hektik, die man mit synthetischen Drogen verbindet.

Quellen, Teiche und Flüsse versorgen diese unkontrolliert wuchernden Küstensiedlungen mit Wasser. Allerdings darf man bei der Zuweisung der Verantwortlichkeiten auch nicht außer acht lassen, dass Flüsse wie der Turia, der Jucár oder der Segura nur noch als Rinnsal an den Küsten ankommen.

Der Grundwasserspiegel fiel und fiel

Es wäre heuchlerisch, das Abnehmen der Flüsse im Inneren der Halbinsel nur auf die Ausbeutung an der Küste zu schieben. In der kastilischen Hochebene wurden illegal Dutzende von Wasserspeichern angezapft. Die Quellen wurden mit der gleichen Rücksichtslosigkeit ausgetrocknet, wie man das auch an der Küste beobachtet, der Grundwasserspiegel fiel und fiel.

Die Landschaft hat sich an der Küste verändert, aber ebenso oder vielleicht noch intensiver tat sie dies im Inland: Spanien war nie so grün wie heute. Die dürren, staubigen Felder von Murcia, über die ich in meiner Jugend streifte, sind heute große Obstanbaugebiete, über das Tafelland im Inneren Spaniens, wo früher nur Disteln und Dorngestrüpp zu finden waren, erstrecken sich ertragreiche Rapsfelder und leuchtende Sonnenblumenplantagen.

In den ehemaligen Steppen von Bajadoz werden Obst und Gemüse angebaut und auf vielen tausend Hektar Land werden wasserräuberische Pflanzen wie Mais kultiviert, deren Anbau meist subventioniert wird.

"Es gibt ein feuchtes und ein dürstendes Spanien"

Der Reisende, der im Sommer mit dem Auto durch Spanien fährt, wird ständig den künstlichen Regen passieren, der von den Sprinklern auf Feldern verteilt wird, die Temperaturen von über vierzig Grad ausgesetzt sind. Diese Veränderungen im Inneren Spaniens vollzogen sich unter dem Mantel politischer Korruption.

Es gibt ein feuchtes Spanien mit einem Überschuss an Wasser und ein trockenes, dürstendes Spanien und seit Jahrhunderten denken Reformer darüber nach, wie ein Land, in dem der Niederschlag in manchen Verwaltungsbezirken mehr als 1500 Liter beträgt, in anderen aber kaum 300 erreicht, zu einem vernünftigen Wassergleichgewicht kommen könnte.

Aber die Politiker haben sich vor allem in den Kommunen, die über einen Überschuss an Wasser verfügen, mit Schlagworten wie "sie rauben uns das Wasser" oder "unser Wasser gehört uns" einen irrationalen Konflikt angeheizt.

Zweiteilung Spaniens

So sind der Klimawandel und die auf das Wasser bezogene Zweiteilung Spaniens Themen, die politisch extrem instrumentalisiert werden. Es ist schwer zu erkennen, wann wirklich Wissenschaft mit im Spiel ist und wann nur Politik unter wissenschaftlichen Vorzeichen betrieben wird.

Auch weiß man nicht, wie viel Interesse Europa tatsächlich an der alten Halbinsel hat, und ob nicht vielmehr jetzt, da das Huhn keine goldenen Eier mehr legt, die internationalen Lobbyisten aus Baugewerbe, Grundstückshandel und Hotelbetrieb den Blick auf andere Ziele richten und dabei eine Strategie der verbrannten Erde verfolgen. Aber das ist ein anderes Thema.

Von Rafael Chirbes erscheint im August der neue Roman "Krematorium" im Kunstmann-Verlag.

Aus dem Spanischen von Annika Müller

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: