Unwort des Jahres:Die Rede von "Hysterie" ist Gebrüll vom Pavianfelsen

"Klimahysterie" ist Unwort des Jahres 2019

Eine Jury aus fünf Sprachexperten und einem jährlich wechselnden externen Mitglied benennt mit dem "Unwort des Jahres" ihrer Ansicht nach unangemessene oder unmenschliche Formulierungen.

(Foto: dpa)

Die Angst vor der Klimakrise als Weiberleiden: "Klimahysterie" ist eine Schmähung, die zeigt, wie altertümlich die Debattenkultur immer noch ist.

Kommentar von Jakob Biazza

"Die Gebärmutter ist ein Tier, das glühend nach Kindern verlangt." Eindrücklicher Satz. Er stammt von Platon. Der Philosoph wollte mit ihm die "Hysterie" erklären, die seiner Meinung nach vor allem kinderlose Frauen befiel, und das Bild hat ja durchaus Kraft für eine Zeit, die den menschlichen Antrieb, die Begierden und Persönlichkeitsstrukturen gerade noch auf unterschiedliche Körpersäfte zurückgeführt hatte. Lange her. Und auch wieder nicht. Allzu heftige, emotionale Reaktionen wurden schließlich noch lange als Frauenmalaisen abgetan. Selbst im 19. Jahrhundert hielten Ärzte die Hysterie für eine weibliche Krankheit und rieten den Patientinnen, regelmäßig zu masturbieren.

Die Fragen, die das "Unwort des Jahres 2019" - Klimahysterie heißt es - mit sich bringt, könnten lauten: Sind wir heute wirklich viel weiter? Oder ist die Debattenkultur nicht doch noch immer durchzogen von Geschlechterkampf und der Abwertung von Minderheiten?

"Mit dem Wort 'Klimahysterie' werden Klimaschutzbemühungen und die Klimaschutzbewegung diffamiert und wichtige Debatten zum Klimaschutz diskreditiert", heißt es in der Jury-Begründung. Es pathologisiere pauschal "das zunehmende Engagement für den Klimaschutz als eine Art kollektiver Psychose". Das ist wahr. Aber noch spannender ist, wie diese Diffamierung funktioniert.

Auch junge Männer beschimpfen Gegner als "weibisch"

Wer von Hysterie spricht, wirft dem Gegenüber ja nicht einfach nur eine überzogene und damit sachlich womöglich falsche Reaktion vor. Er wirft ihm eine - wenigstens implizit - weibliche Reaktion vor. Gezeter, Gekreisch und Gängelung. In der Regel aus einer Position der Schwäche, der, auch geistigen, Unterlegenheit heraus. Das Framing ist da auch heute noch eindrücklich: die Angst vor der Klimakrise, vor Dürren und Überschwemmungen, vor Wetterextremen und Hunger als Weiberleiden. In den Fünfzigerjahren empfahl man dagegen noch Frauengold.

Und heute? Rät man als "hysterisch" wahrgenommenen Politikerinnen zu erfüllenderem Geschlechtsverkehr. Lesbische Frauen brauchen "nur mal 'nen anständigen Kerl". Gleichberechtigung ist "Genderwahn" - also auch irre. Das ist, man muss es betonen, weil das ebenfalls mehrfach als Unwort eingereichte "Alter weißer Mann" es nicht an die Spitze geschafft hat, kein Generationenkampf. Zwanzigjährige Rapper beschimpfen eingebildete oder echte Gegner immer noch als "schwul", "Fotzen", "weibisch". Junge Comedians besäfteln die angebliche Irrationalität von Frauen. Das Weibliche, das vermeintlich Schwächere, es taugt noch immer zur Abwertung.

Natürlich ist das alles Kraftmeier-Rhetorik, Gebrüll vom Pavianfelsen. Aber es ist darin leider auch sehr wirkungsvoll. Wer sich über die Schmähung aufregt, beweist in der Logik des Beleidigenden schließlich ausgerechnet dessen These.

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