Kleist-Preis für Max Goldt:Der Seitlich-Vorbei-Geher
Lesezeit: 7 Min.
Lieber nicht in der U-Bahn lesen: Seine Werke sind klug und klar, unaufdringlich moralisch - und vor allem das Witzigste, was die deutsche Literatur zu bieten hat. Eine Lobrede auf Max Goldt.
Daniel Kehlmann
Das wird eine langweilige Rede. Nein, keine Koketterie, ich bitte Sie diese Ankündigung ernst zu nehmen. Was bleibt mir auch anderes übrig! Soll ich versuchen, witzig zu sein in Anwesenheit von Max Goldt? Soll ich Sie mit eigenen Pointen traktieren, während Sie mit höflichem Lächeln darauf warten, dass ich endlich das Podium freigebe und ihn herauflasse?
Bieten könnte ich natürlich eine Ansprache voller Zitate: die originellsten, klügsten und komischsten Stellen aus dem Goldt'schen Werk, locker verbunden durch einigermaßen elegante Überleitungen.
Das würde ich schon hinkriegen, sofort herrschte Heiterkeit, man wäre gespannt, man hinge an meinen Lippen, das haben Goldts Sätze so an sich.
Aber Goldt zu loben, nicht ihn zu bestehlen bin ich hier, und darum sehen Sie mich wildentschlossen zu Ernst und Analyse. Schiller wird zitiert, Petronius erwähnt werden, von Thomas Mann und Laurence Sterne, von Karl Kraus und P. G. Wodehouse wird die Rede sein, und beim Heimweg werden Sie sagen: "Ein bisschen langweilig war es, und mein Gott, all die Namen, aber er hat sich im-merhin Mühe gegeben!"
Indiz für Mittelmäßigkeit
Auch vom Lachen werde ich sprechen müssen. Ich weiß, das ist heikel, und ich wage es kaum, jetzt in Max Goldts Richtung zu blicken. Er hört dieses Wort gar nicht gerne, es macht ihn ärgerlich, wenn man ihn einen Humoristen nennt, und er hat ja auch recht: Zu oft gilt, in Deutschland, aber auch anderswo, der Umstand, dass etwas lachen macht, als Indiz für eine gewisse Mittellage des ästhetischen Wertes.
Große Kunst, so nehmen nicht ganz urteilsfeste Menschen an, solle trist sein, bedächtig, schwerfällig, und man müsse ihr noch Mühe, Last und Qual der Produktion anmerken; am besten solle sie noch wortreich beklagen, dass sie gar nicht imstande sei, die Wirklichkeit in Worte zu fassen. Max Goldt aber ist dazu imstande - muss man ihm das zum Vorwurf machen?
Gelächter, hat er einmal gesagt, sei das am leichtesten zu erzeugende Geräusch, und das stimmt natürlich - aber nur für ihn. Zu erwähnen, dass man bei der Lektüre seiner Bücher so lange und laut lachen kann, dass ausdrücklich davon abzuraten ist, diese im öffentlichen Raum zu unternehmen, kann im Land der traurigen Dichter schon als Abwertung verstanden werden; und nichts wäre gegenüber diesen Wunderwerken an Subtilität, diesen Spiegelkabinetten von Eleganz, Klugheit und feindosiertem Wahnsinn verfehlter.
Inzwischen hat sich immerhin herumgesprochen, dass es sich bei Goldt um einen der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart handelt, doch ganz dreist möchte ich hinzufügen, dass er darüber hinaus der vielleicht witzigste ist, der je in dieser Sprache geschrieben hat. Ich weiß, Superlative fordern Widerspruch heraus, aber versuchen Sie es nur, viele andere werden Sie mir nicht nennen können!
Die deutsche Sprache als Hauptdarsteller
Und auch im großen Zusammenhang fällt mir außer dem exzentrischen Genie P. G. Wodehouse keiner ein, der sich an komischer Kraft mit ihm vergleichen lässt. Goldt und Wodehouse haben gemeinsam, dass es bei ihnen keine oberflächlichen Scherze gibt, dass es die Sprache selbst ist, aus deren Tiefen die Komik aufsteigt und dass sie aus diesem Grund auch beide kaum übersetzbar sind.
Aber während Wodehouses inhaltlich doch streng konventionelle Romane keine Rätsel aufgeben, stellt einen der Versuch, das Werk Max Goldts zu analysieren, vor echte Probleme. Will man sich seinen Texten, die man übrigens ebenso wenig Kolumnen nennen sollte wie jene von Karl Kraus Zeitungsartikel, wirklich stellen, will man erklären, was sie ausmacht und wie sie funktionieren, so kommt man rasch ins Stottern.
Denn Goldts Literatur ist emphatisch nichtnarrativ. Da bewegen sich keine Charaktere, sondern Gedanken, es gibt keine Handlung, und meist sind da keine anderen Hauptdarsteller als die deutsche Sprache und die frei flottierende Aufmerksamkeit des Autors. Es liegt nahe, dies ein Prinzip der Abschweifungen im Sterne'schen Sinn zu nennen, aber das stimmt nicht recht: Abschweifen kann man nur von einem Hauptthema, zu dem man zurückzukehren plant, und bei Goldt liegt von vorneherein weder dieses Thema, noch auch nur ein solcher Plan vor.
Journalisten nennen ihn gerne einen - verzeihen Sie, Herr Goldt, aber das Wort muss fallen - "Alltagsbeobachter", und diese Formulierung verrät in ihrer Hilflosigkeit doch viel über das literarische Projekt Goldts: Beobachter, das soll heißen, dass er genau hinsieht auf Dinge, die wir auch sehen könnten, wenn wir nur ein wenig aufmerksamer wären, etwas klüger, ein bisschen begabter, das Seltsame und im eigentlichen Wortsinn Bemerkenswerte zu erkennen, das uns umgibt.
Kein Händeschütteln mit Bild
Aber wie er eben kein Abschweifer ist, sondern ein Vertreter denkender Offenheit, so ist er auch kein Beobachter, denn das Bestimmende an ihm ist seine Unzudringlichkeit; er späht Dingen und Leuten nicht nach, er ermächtigt sich ihrer nicht, er ist bloß wie zufällig in der Nähe und nimmt wahr, er geht, wie sein eigener Buchtitel es formuliert, seitlich vorbei.
Und Alltag - das bedeutet nur, dass sein Thema alles, dass bei ihm nichts von vorneherein ausgeschlossen ist. Nichts ist zu nebensächlich und klein, aber auch nichts zu groß, um Gegenstand seiner milden Aufmerksamkeit und scharfen Intelligenz zu werden.
Apropos Intelligenz: Max Goldts Texte haben die fürs literarische Gelingen keinesfalls notwendige, aber für das Dasein des Lesers sehr hilfreiche Eigenschaft, dass seine Urteile in praktisch allen Fällen stimmen. Seinetwegen achte ich streng darauf, niemals zu früh am Ort der Einladung zu erscheinen, seinetwegen denke ich gar nicht daran, mich bei Vorstellungen welcher Art immer in die erste Reihe zu setzen, und seinetwegen würde ich Mitarbeitern der Bild-Zeitung nur die Hand geben, wenn ich es gar nicht vermeiden kann. Und ich weiß, dass es vielen so geht.
Lesen Sie auf Seite 2, was einen wahren Satiriker - wie Max Goldt - ausmacht.
Wie sein Satirikervorfahr Petronius ist Goldt ein arbiter elegantiarum des zeitgenössischen Lebens, scheinbar Ästhet, letztlich aber der unaufdringlichste Moralist, der sich und uns die zahlreichen ethischen Minimalentscheidungen bewusst macht, an denen entlang wir uns durch alle unsere Tage hanteln und für die wir blind waren, bevor sein Blick darauf fiel.
Das soll aber nun alles nicht zu seriös klingen. Man tut Goldt unrecht, man verkleinert seine Leistung, wenn man übergeht, welcher Mut zum Irrsinn und zur Absurdität sich hinter der Ruhe seiner Prosa verbirgt. Wer seine perfekte Syntax liest, wird nicht durch Zufall oft an Thomas Mann erinnert - und tatsächlich ist das einer der wenigen Autoren, zu deren Einfluss sich Goldt bekennt.
Bei Goldt wie bei Mann entsteht der Witz aus selbstbewusstem Manierismus, aus einer ironischen Überinstrumentierung des sprachlichen Materials; aber bei Goldt wird dieses Material konfrontiert mit etwas ganz anderem: dem Sprachmüll der Medien, allen Registern von Umgangssprache und Slang, der starren Knappheit der Bildergeschichte.
Die Energie populärer Formen
Die Comics: Ausdrücklich soll hervorgehoben sein, dass er den Kleist-Preis auch für sie bekommt und dass ein Teil der Würdigung seinem Comicduopartner Stephan Katz gebührt. Sie sind ein zentraler Teil seines Werkes, und hätte er nichts geschaffen als sie, der Preis stände ihm immer noch zu. Goldts Zugriff adelt auch hier das scheinbar Unseriöse, und aus der Energie populärer Formen gewinnt seine Kunst eine Kraft und Originalität, wie sie aus den Seminarräumen der Universitäten nie hätte kommen können. Jetzt doch, ausnahmsweise, ein Zitat:
Schneid mich aus dem Leib der Erde Schneid mich raus und wirf mich weit Wirf auf dass ich ewig falle Fallende, so heißt es doch, haben alle Zeit auf Erden und hör'n die herrlichste Musik.
Das ist ein Songtext aus Goldts Musikerzeit, aber wer könnte leugnen, dass es sich um große Lyrik handelt? Dass er nicht in einem Gedichtband veröffentlicht wurde, sondern auf einer Langspielplatte, begleitet von Gerd Pasemanns erstaunlich wenig gealtertem Riff, ist nur eine weitere Stärke dieses Autors, dem so einschüchternd wenig von der wohlfeilen Verquältheit deutscher Gegenwartsliteratur anhaftet, dass es viel zu lange gedauert hat, bis offensichtlich wurde, dass er nicht nur zu ihr gehört, sondern an ihre Spitze.
Humor, wenn sein Resultat Kunst sein soll, lebt von plötzlicher Erhellung, von einer blitzartig sichtbar werdenden Inkongruenz zwischen der chaotischen Welt und jenem Begriff, auf den die Vernunft sie zu bringen unternimmt: Der ordnende Verstand funktioniert und versagt im selben Moment, nichts ist lustig ohne ein noch so kurzes Aufflackern echter Erkenntnis. In einer perfekten Welt gäbe es nichts zu bemängeln, aber auch nichts zu lachen, doch auch wer sich mitreißen lässt von Ärger oder Trauer, verliert das Potential zum Witz.
Der Humorist braucht einen klaren Blick, noch mehr aber braucht er Gelassenheit. Friedrich Schiller unterscheidet zwei Arten der Satire: die strafende und die lachende, also jene, die die Unvollkommenheit des Wirklichen mit Zorn und jene, die sie mit Lächeln wahrnimmt, und nur die zweite ist im wahren und erfüllenden Sinne lustig. "Die strafende Satire erlangt poetische Freiheit, indem sie ins Erhabene übergeht; die lachende Satire erhält poetischen Gehalt, indem sie ihren Gegenstand mit Schönheit behandelt."
Über Ungereimtheiten lachen
Man muss nicht lange überlegen, zu welcher Kategorie Goldt gehört, und in diesem Sinn, nicht in jenem der Fernsehblödler und schreibenden Witzbolde, kann und darf man ihn einen Satiriker nennen.
Auch bei ihm geht es um die Kluft zwischen der Welt, wie sie ist, und der Welt, wie sie sein sollte, aber Goldt selbst steht vor dem Abgrund in gelassener Ruhe. Das Wesen der lachenden Satire und damit ihres Schöpfers ist es laut Schiller, "frei von Leidenschaft zu sein, immer klar, immer ruhig um sich und in sich zu schauen, überall mehr Zufall als Schicksal zu finden und mehr über Ungereimtheit zu lachen, als über Bosheit zu zürnen oder zu weinen".
Erkennen wir ihn hierin nicht sofort? Und auch die Vermischung von literarischem und menschlichem Urteil, die zu vermeiden wir unaufhörlich in den Germanistikseminaren beschworen wurden, drängt sich wieder einmal auf. Über Ungereimtheiten lachen - das ist nicht nur ein literarisches, es ist ein Lebensziel.
Klug und klar durch die Welt gehen, aufmerksam und ohne Groll, begleitet von hellem Witz und einer Intelligenz, die kein Vorurteil duldet und keine Phrase - wer es soweit gebracht hat, der hat es sehr weit gebracht, und wer es noch nicht soweit gebracht hat, muss sich weiter strebend bemühen und tut nicht schlecht daran, währenddessen Max Goldt zu lesen.
Daniel Kehlmann, geboren 1975, ist Schriftsteller. Sein Buch "Die Vermessung der Welt" war ein internationaler Bestseller. Im Januar wird von ihm bei Rowohlt "Ruhm. Roman in neun Geschichten" erscheinen. Diese Laudatio hielt Kehlmann am 23. November im Berliner Ensemble auf Max Goldt, der den Kleist-Preis 2008 erhielt. Von Max Goldt, Jahrgang 1958, erschien zuletzt das Buch "QQ".