"Der zebrochne Krug" am Deutschen Theater Berlin:Dieses treuherzige Gespür für Intrigen

"Der zebrochne Krug" am Deutschen Theater Berlin: Die gemütliche Korruption und Rechtsbeugung sind eine lieb gewordene Gewohnheit, keine dämonischen Aktion: Ulrich Matthes (Zweiter v. links) als Dorfrichter Adam in Anne Lenks Inszenierung von Kleists "Der zebrochne Krug" am Deutschen Theater Berlin.

Die gemütliche Korruption und Rechtsbeugung sind eine lieb gewordene Gewohnheit, keine dämonischen Aktion: Ulrich Matthes (Zweiter v. links) als Dorfrichter Adam in Anne Lenks Inszenierung von Kleists "Der zebrochne Krug" am Deutschen Theater Berlin.

(Foto: Arno Declair/Deutschen Theater Berlin)

Da fühlt sich der Abend doch gleich etwas bedeutender an: Bei der Premiere von Kleists "Der zerbrochene Krug" mit Ulrich Matthes am Deutschen Theater Berlin sitzt auch Angela Merkel im Publikum.

Von Peter Laudenbach

Auch wenn Angela Merkel auf Fragen dazu, was sie nach dem Ende ihrer Amtszeit vorhat, eisern schweigt, kann man jetzt zumindest so viel verraten: Sie geht ins Theater. Schön für die Bühnen und ihr Publikum - mit der Ex-Kanzlerin im Parkett fühlt sich der Theaterbesuch doch gleich etwas bedeutender an. Die frühere Kanzlerin beweist guten Geschmack, zumindest hat sie Glück bei der Stückauswahl. Die Premiere von Kleists "Der zerbrochene Krug", die sie sich am Deutschen Theater Berlin ansieht, ist eine ungemein frische, witzige, leichtfüßige Klassiker-Inszenierung. Sie sorgt für etwas, was man von Klassiker-Inszenierungen, erst recht von Klassikern, die im Fleischwolf des Regie-Theaters zerlegt werden, nicht unbedingt erwarten darf: Sie sorgt für Vergnügen.

Die Themen des Stücks, von Machtmissbrauch und Sexismus bis zur Unterhöhlung des Rechtstaats, dürften Merkel bekannt vorkommen. Aber in so temporeichen, mindestens doppelbödigen, bei Bedarf auch zotigen Wortspielen, in so biegsam rhythmisierten Versen, vorgetragen von gutgelaunten, leicht überdrehten Sprachkünstlern sind sie ihr in ihrer bisherigen Arbeitsumgebung vermutlich eher selten begegnet. Die Regisseurin Anne Lenk hat mit ihren formsicheren und verspielten, immer stark auf die Schauspieler und nuancenreiche Sprachbehandlung konzentrierten Inszenierungen von Schillers "Maria Stuart" und Molières "Der Menschenfeind" dem Deutschen Theater zwei der erfolgreichsten und gelungensten Aufführungen der letzten Jahre beschert.

Ulrich Matthes spielt den Dorfrichter Adam schön trocken als eine Art Clown

Ihre Kleist-Komödie setzt diese Erfolgsserie mit schönster Spielfreude fort. Weil es nicht um Gezappel und ganz sicher nicht um naturalistische Milieu-Malerei geht, setzt Lenk die Spieler in pop-verfremdeten, in vielen knall-orangenen Tönen schillernden historischen Kostümen (Sibylle Wallum) einfach in einer Reihe auf die Vorderbühne, schließlich befinden wir uns in einem Gerichtssaal. Hinter ihnen leuchtet in voller Bühnenhöhe und -breite die Reproduktion eines niederländischen Stilllebens aus dem 17.Jahrhundert, das muss als Zeitkolorit genügen (Bühne: Judith Oswald).

Ulrich Matthes spielt den verschlagenen Schwerenöter und Dorfrichter Adam schön trocken als eine Art Clown, jemand, der sich dümmer stellt, als er ist, und genüsslich die Vokale der Kleist-Verse zerdehnt und zerlegt. Ihn für einen Teufel zu halten, wäre trotz Klumpfuß, blutigen Hörnerandeutungen und einer gewissen Ruchlosigkeit eine Überschätzung. Die gemütliche Korruption und Rechtsbeugung sind eine lieb gewordene Gewohnheit, keine dämonische Aktion. Er missbraucht sein Richteramt mit so entspannter Selbstverständlichkeit, dass er gar nicht versteht, dass sich mit der Gerichtsrätin auf Kontrollbesuch (Lorena Handschin) nicht alles bei Rotwein und Wurst unter der Hand regeln lässt.

Dass die Inszenierung aus Kleists Gerichtsrat eine Frau macht, muss man als Statement verstehen: Hier wird dem sexuell übergriffigen Adam der Prozess gemacht. Adams Gerichtsschreiber lauert natürlich mit treuherzigem Intrigantengespür auf seine Chance, den Alten abzusägen, aber bis es soweit ist, pflegt er den Schlafzimmerblick und seine Beau-Frisur, als wäre er der ältere Bruder von Oscar Wilde (Jeremy Mockridge). Franziska Machens als Klägerin Marthe Rull führt vor, was eine Kampfschnepfe mit gesundem Rotweindurst ist: Die gute Frau lässt sich von keinem Gericht der Welt beeindrucken, lieber redet sie alle und alles in Grund und Boden. In der Tradition ist ihre Tochter, die der Dorfrichter zu sexuellen Gefälligkeiten erpressen will, eine Figur der naiven Unschuld. Aber davon kann erfreulicherweise bei Lisa Hrdina keine Rede sein, die sich stattdessen lieber für einen Auftritt entscheidet, die ihre Figur mit Wumms, Lebensklugheit und Selbstbewusstsein ausstattet - das Jungfrauenopfer kann abtreten.

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