"Kleine Germanen" im Kino:"Schaut her, wir sind doch ganz harmlos"

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Ein Animationsfilm innerhalb der Dokumentation erzählt die Geschichte eines Mädchens, das von ihrem NS-begeisterten Opa erzogen wurde. (Foto: brave new work, Little Dream Entertainment)
  • Ein Dokumentarfilm versucht herauszufinden, wie Kinder in rechtsextremen Familien erzogen werden. Schon vor Ausstrahlung toben rechte Internet-Trolle.
  • Das Anliegen von "Kleine Germanen" ist zwar ehrenwert, das Ergebnis jedoch trotzdem problematisch.
  • "Kleine Germanen" läuft von Donnerstag an im Kino.

Von David Steinitz

Glaubt man den Kommentarspalten auf Youtube und Facebook, dann ist der Dokumentarfilm "Kleine Germanen" eine "Gehirnwäsche" fürs Publikum. Außerdem, steht dort in Hunderten von Einträgen, sei der Film "antideutsche Hetze", "linksextreme Propaganda" und befördere den "Schuldkult", mit dem die Deutschen kleingehalten würden.

Bei der Masse an Filmen, die Woche für Woche im Kino starten und kaum Aufmerksamkeit erregen, sind die Reaktionen, welche die kleine deutsche Dokumentarfilmproduktion schon vor dem Kinostart am Donnerstag im Netz hervorruft, durchaus beeindruckend. Zumal sich rechte Internet-Trolle eher selten mit dem Thema Filmförderung beschäftigen. Nun aber schimpfen sie, dass es "schade ums Steuergeld" sei, das hier für einen "Volksverdummungs-Film" von "linken Irren" zum Fenster rausgeschmissen werde.

Die Regisseure Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh gehen in "Kleine Germanen" der Frage nach, wie Kinder in rechtsextremen Familien aufwachsen und radikalisiert werden. Das hat in der rechten Szene schon prophylaktisch für Empörung gesorgt, ohne dass die Empörungsführer den Film gesehen haben. Dabei konzentrieren sie sich besonders auf den 47-jährigen iranischstämmigen Mohammad Farokhmanesh, der, frei zusammengefasst, mal lieber vor der eigenen Islamisten-Haustür kehren solle, bevor er anständige Deutsche in den Schmutz ziehe.

Fragt man Farokhmanesh kurz vor dem Kinostart nach diesem Shitstorm, schmunzelt er. "Als wir vor zwei Jahren den Film ,Teheran Tabu' drehten, den ich mitproduziert habe, waren die Islamisten beleidigt. Man kann es nie allen recht machen."

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Auf die Frage nach der Genese des Films berichtet Farokhmanesh, dass sein Kollege Frank Geiger und er sich für das Thema Erziehung interessierten, speziell im rechten Milieu. "Wir haben festgestellt, dass es zu dem Thema erstaunlicherweise fast keine Forschung gibt. Auch viele Rechtsextremismus-Experten meinten, dass das eine Forschungslücke ist, weil man an diese Familien fast gar nicht herankommt. Die schirmen sich ab."

Diese Hürde nahmen sie als Herausforderung, sich in das Thema einzuarbeiten, was sicherlich eine ehrenvolle filmemacherische und journalistische Absicht ist. Das Ergebnis ist trotzdem problematisch, wenn auch auf ganz andere Art und Weise, als die rechten Rumpelstilzchen im Netz meinen.

Zunächst einmal haben sie Interviews mit Experten geführt, die sich mit der rechten Szene und Erziehungsfragen beschäftigen. Darunter zum Beispiel Gudrun Heinrich von der Arbeitsstelle für politische Bildung der Uni Rostock und Bernd Wagner von der Organisation Exit, die Aussteiger aus der rechten Szene betreut. Von ihnen erfährt der Zuschauer, dass Angst das zentrale Mittel sei, um Kinder politisch zu beeinflussen. Wenn Kinder schon früh auf einen permanenten Ausnahmezustand eingeschworen würden, weil der Staat und alles Fremde eine Bedrohung darstellten, bleibe ihnen zur Verteidigung nur noch die rechte Gesinnung der Eltern übrig.

Diese Expertenaussagen sind auf der Tonspur zu hören. Das Problem, in einem Film über Kinder aus rechtsradikalen Familien keine echten Kinder aus rechtsradikalen Familien zeigen zu können, lösen die Regisseure, indem sie Darstellerkinder zeigen. Sie wurden extra gecastet. Darauf weist auch der Vorspann hin, in dem es heißt: "Die gezeigten Kinder sind Darsteller und stehen nicht in persönlicher Verbindung zu den erzählten Ereignissen." Aber für die Zuschauer wird trotzdem beides vermischt. Man sieht süße blonde Jungen und Mädchen beim Spielen, während im Voiceover von "extremistischen Familienverbänden" und "sozialdarwinistischen Züchtungsgedanken" die Rede ist.

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Dieses Ineinander von Spiel- und Dokumentarhandlung setzt sich noch in einem anderen Element des Films fort. Über die Organisation Exit bekamen die Filmemacher Kontakt zu einer Frau, die in den Siebzigern von ihrem Opa mit Sprüchen à la "Für Führer, Volk und Vaterland" aufgezogen wurde. Als Jugendliche verteilte sie nationalsozialistische Pamphlete und heiratete einen Rechtsextremen, der Anschläge auf Migrantenheime beging, bis sie aus der Szene ausstieg und gegen ihre einstigen Kameraden bei der Polizei aussagte. Deshalb, so Farokhmanesh, lebe sie heute unter anderem Namen an einem unbekannten Ort. Die Regisseure hatten nur telefonisch mit ihr in Kontakt treten können, weil die Frau anonym bleiben wolle.

Also haben sie sich entschlossen, ihre Geschichte in Form eines Animationsfilms nachzuerzählen, der in kurzen Clips auf den gesamten Film verteilt ist. Darin trägt die Frau das Pseudonym Elsa. Der Quellenschutz durch Anonymisierung ist zwar eine gängige und notwendige journalistische Praxis. Nur hat man nach den gecasteten Kindern bei diesen Trickfilmsequenzen zusätzlich das Gefühl, den Bereich des Dokumentarischen zu verlassen. Zumal diese Elsa in den Siebzigerjahren aufwuchs, was wiederum wenig darüber erzählt, wie rechte Sozialisierung heute aussieht. Denn die meisten Rechtspropagandisten haben ihre Lektion in Sachen PR gelernt und versuchen längst nicht mehr, mit Springerstiefeln für ihre Sache zu werben. Damit ist man beim größten Problem von "Kleine Germanen" - den Interviews mit den Neurechten.

Ist stolz auf Mozart: Martin Sellner von der "Identitären Bewegung". (Foto: brave new work, Little Dream Entertainment)

Einige waren bereit, vor die Kamera zu treten, um über das Thema Erziehung zu sprechen. Dazu gehören zum Beispiel der rechte Publizist Götz Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza, die NPD-Politikerin Ricarda Riefling sowie Martin Sellner von der "Identitären Bewegung" in Österreich. Während dieser Interviews hat man das Gefühl, einem misslungenen journalistischen Experiment beizuwohnen. Denn natürlich sagt niemand der Befragten vor der Kamera auch nur ansatzweise etwas, das strafrechtlich relevant sein könnte.

Stattdessen begnügen sich alle fast ausschließlich mit Plattitüden. Man hört Kubitschek und Gattin, die sich beide als "Retrotypen" bezeichnen, von ihren glücklichen Kindheiten schwärmen, weil sie so viel draußen spielen durften. Und sie erläutern, wie wichtig sie "Disziplin, Rückgrat und innere Haltung" für Kinder finden. Martin Sellner bekundet, wie stolz er als Österreicher auf seinen Mozart sei, und dass man als junger Mensch nicht den ganzen Tag im Bett vergammeln solle. Und Ricarda Riefling fürchtet um die Zukunft des Saumagens, weil dieses deutsche Traditionsgericht durch den Zuzug von Schweinefleisch verschmähenden Moslems akut gefährdet sei.

Diese Gespräche zeigen, dass der Film leider genau den Erziehungstricks erliegt, die er ursprünglich anprangern wollte. Denn Disziplin, Mozart und Saumagen kann man ja auch gut finden ohne rechtsradikal zu sein, und genau das ist ein rhetorischer Kniff der Neuen Rechten: Sie versuchen ihre demokratie- und ausländerfeindliche Ideologie mit einer konservativen Kuschelrhetorik über Traditionen und Werte in die Mitte einer verunsicherten Gesellschaft zu schmuggeln, nach dem Motto: "Schaut her, wir sind doch ganz harmlos." Dass einige Protagonisten dieses Films nicht harmlos sind, sondern radikale und revisionistische Thesen vertreten, wird zwar mit ein paar Einspielern angedeutet, gerät in den Gesprächen aber fast zum Nebenaspekt.

Folglich liefert der Film nur wenige Antworten über die politische Indoktrinierung von Kindern, aber relativ viele auf die Frage, wie Rechtsradikale seit einigen Jahren mit ihren als konservativen Sirenenklängen getarnten Erziehungsmethoden sehr erfolgreich mündige Erwachsene verführen.

Kleine Germanen , D 2019 - Regie, Buch: Mohammad Farokhmanesh, Frank Geiger. Kamera: Marcus Winterbauer. Little Dream Entertainment, 89 Min.

© SZ vom 08.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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