Süddeutsche Zeitung

Klaviergenie Daniil Trifonov:Unerhörte Fähigkeiten

Lesezeit: 4 min

In seinen Konzerten wird er zum Magier, da erfährt das Publikum aus längst bekannten Werken wahre Erleuchtungen. Nun hat der weltweit bewunderte Jungpianist Daniil Trifonov das Publikum in der Klavierstadt München zum ersten Mal live in seinen Klangkosmos geholt.

Von Helmut Maurò

Derzeit ist Daniil Trifonov vor allem mit einem beschäftigt: der Instrumentierung seines selbst komponierten Klavierkonzertes, das im kommenden Februar in Cleveland uraufgeführt werden soll.

Nächtelang sitzt er über der Partitur, immer neue Einfälle machen immer neue Arbeit. Ähnlich ergeht es ihm auch mit den Werken, die er für seine längst ausverkauften Klavierabende aufs Programm setzt. Immer wieder wechselt er den Blickwinkel, die Stimmung, die Tempi, die Klangfarben.

Letzte Woche spielte er im ehrwürdigen "Concertgebow" in Amsterdam, einem der renommiertesten Konzertsäle der Welt. Es klang wunderbar, besonders in den 24 Préludes op.28, mit denen er nun auch in Münchner im Herkulessaal debütierte, blitzten immer wieder ungehörte Einfälle auf und ließen die Stücke wie neu erscheinen.

Wirklich zwingend werden sie bei dem jungen Pianisten aber erst dadurch, dass er das Publikum mitnimmt ein seinen Klangkosmos, dass er die Tempi und Rubati, also die gewollten Tempoabweichungen, Verzögerungen, Beschleunigungen so wählt, dass man gezwungen ist, sich gleichsam ganz in die Hände des Pianisten Trifonov zu geben. Da wird er zum Magier, da erfährt man aus längst bekannten Werken wahre Erleuchtungen.

Dass der inzwischen weltweit bewunderte Jungpianist - er ist gerade mal 22 Jahre alt - den allermeisten Kollegen technisch um Längen voraus ist, hat sich herumgesprochen. Dass er aber so aberwitzig virtuos sein kann, wie er dies in München mit Claude Debussys "Reflets dans l´eau" aus den "Images pour piano" oder in der dritten Zugabe mit Ravels "Miroirs" zeigte, ist immer wieder überwältigend.

Immer klangvoll, ob donnernd oder sehr leise

Das komplette Publikum folgte ihm eine ganze Weile nahezu hüstelfrei bis ins zarteste Pianissimo, und hierbei lässt sich Trifonov auf keinerlei Kompromisse ein. Er spielt immer klangvoll, aber manchmal so leise, dass man es in der letzten Reihe nur hört, wenn wirklich keine Nebengeräusche dagegen wirken.

Auch im anderen Extrem, den donnernden Fortissimo, steckt Trifonov nicht zurück, wenn er die kraftvolle Pranke musikalisch für angemessen hält. Das ist öfter der Fall, als man dies in den üblichen Auffassungen von Chopins Préludes und auch Robert Schumanns Sinfonischen Etüden gewohnt ist, die er nach der Pause spielte.

Aber Trifonov haut nicht einfach in die Tasten, weil es ihm besonderen Spaß bereitete, mit Knalleffekten zu reüssieren. Vielmehr ist in seinem Spiel immer ein Gedanke, eine Konzeption spürbar, die darauf abzielt, seine Sichtweise, seinen intellektuellen und emotionalen Zugang und sein eigenes musikalisches Erleben eines Werkes auch pianistisch zu gestalten und gleichsam spielerisch zu vermitteln.

Wie er zum Beispiel Klänge und Klangballungen nicht nur gezielt dramatisiert, die Höhepunkte vorbereitet, sondern auch das Abklingen, das Nachlassen der Energie, das vollständige Entschwinden eines Klanges erzählt - das ist ganz unerhört. Und wieviel Zeit er sich lassen kann, eine Dissonanz, einen Vorhalt aufzulösen zur schließenden Dur-Erlösung - erst im allerletzten Moment, wenn die Spannung abzureißen droht, setzt er den erlösenden Ton ganz unscheinbar, wie nebenbei.

Dadurch bleibt das tragische Moment, das ganze Drama vor der Auflösung, im Bewusstsein präsent, dadurch, kann man entspannen, ohne die dramatische Situatuon zuvor ganz vergessen zu müssen. Denn die war ja der eigentliche musikalische Inhalt.

Trifonov gibt dabei wesentlich mehr von sich preis als die meisten Pianisten, und die Musik ist bei ihm auch nicht Selbstzweck, sondern Medium; sie ist nicht nur für ihn selber, sondern auch für den Hörer ein Türöffner zum eigenen Seelenparadies.

Mit seinen technischen Fähigkeiten, ein Werk bis an die Grenzen scheinbar mühelos zu bewältigen, macht es auch Sinn, es an die Grenzen des musikalisch Tragbaren zu treiben. Das ist dann weder Exaltiertheit noch zweckfreies Virtuosentum, sondern schiere Intensität.

Trifonov realisiert, was auf einem Flügel nur möglich ist. Die Grenzen des Machbaren liegen diesmal beim Instrument. Man kann nur hoffen, dass diese geballte Energie und seine einzigartigen technischen Möglichkeiten kein jugendliches Phänomen, sondern im Gegenteil der Beginn einer erstaunlichen, einmaligen pianistischen Entwicklung sind.

Man muss in der Geschichte der Klavierkunst weit zurückgehen, womöglich mehr als 100 Jahre, um auf diesem genialischen Pianisten vergleichbare Phänomene zu stoßen. Derzeit steht Daniil Trifonov als singuläre Erscheinung am musikalischen Sternenhimmel.

Dass aber auch ihm nicht alles von selber zufällt, erlebt man, wenn man ihm beim Üben beobachtet. Das ist harte Arbeit, das ist endloser Fleiß, Beharrlichkeit, ein Hineinbohren in die Werke; Trifonov versinkt regelrecht in den Stücken, lebt in ihnen, bewegt sich wie ein staunendes Kind darin, das aber durchaus seinen eigenen Kopf und Charakter hat.

Am Nachmittag, unmittelbar vor dem Konzert in München, spielter er noch das fis-Moll-Konzert des russischen Spätromantikers, Mystikers, Avantgardisten Alexander Skrjabin. Übermorgen wird er es mit dem Orchestre de la Suisse Romande auftreten. Leider nicht in München, sondern in Genf. Allerdings steht ein gutes Jahr für Trifonov-Begeisterte an: das Klaviergenie kommt fünfmal nach München: Ende Januar mit Chopins f-Moll-Konzert, begleitet von der Bremer Kammerphilharmonie, Ende Mai mit Strawinskys "Concerto for Piano & Wind Instruments", Anfang Juni mit Mozarts Klavierkonzert KV 466, Anfang September mit Beethovens 1. Klavierkonzert, begleitet von der Staatskapelle Dresden unter Leitung von Christian Thielemann, und schließlich im Dezember mit einem Soloprogramm.

Auch die neueste CD ist schon wieder von gestern

Es wirkt beinahe wie eine Entschuldigung dafür, dass er die Klavierstadt München als eine der letzten Klassik-Metropolen entdeckt hat. Dass er schon in der ganzen Welt Furore machte - seine jüngste CD, die endlich dieser Tage erscheinen soll, ist ein Live-Mitschnitt aus der New Yorker Carnegie Hall.

Er ist hörenswert, wie auch seine früheren Aufnahmen, die auf vier CDs über das Internet zu bekommen sind, aber so rasant, wie sich dieser Pianist entwickelt, ist auch die neueste CD schon wieder ein Dokument von gestern, und ein hörbar zeitgebundenes dazu.

Eigentlich hätte man von der Deutschen Grammophon, die Trifonov nun exklusiv für sich gebucht hat, eine repräsentativere, ernsthafte Studio-Aufnahme als Debüt-Album erwartet, ein erstes Statement der technischen und musikalischen Fähigkeiten und Visionen dieses außerordentlichen Künstlers.

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