Süddeutsche Zeitung

Klavierabend mit Ivo Pogorelich:Der Mönch im Pianistenpelz

Lesezeit: 3 min

Den exzentrischen Popstar der Klassik gibt es nicht mehr. Ivo Pogorelich ist zurück aus den Bergen: geläutert, schnörkellos. An früher erinnert nur die Finesse am Flügel.

Helmut Mauró

Den "Gaspar de la nuit", diesen Kaspar der Nacht von Maurice Ravel, beginnt Ivo Pogorelich fast hölzern verbissen. Es dauert, bis alles zu einem magischen Fluidum zusammenschmilzt, bis die großen Wellen, die den Hörer am Ende überfluten, planvoll aufgebaut sind, bis alles in Wasser-, Licht- und Schattenspielen glitzert und rauscht und schließlich in sich zusammenfällt.

Doch der Hörer in Münchens Prinzregententheater spürt nichts von dem detaillierten Plan im Kopf des Spielers. In Franz Liszts Mephisto-Walzer, einer gespenstisch verzerrten Szenerie, stemmt sich Pogorelich gegen die Partitur wie Faust gegen den Teufel. Ein beklemmend sperriger Ansatz, der ins irrlichternd Fremde führt.

In den letzten Jahren spielte Ivo Pogorelich lieber in Japan und den USA. Vielleicht ist man dort offener für Verrückte und Genies. Und Pogorelich gehört zweifellos in den Zirkel dieser Erwählten. Seine persönliche Ausstrahlung ist enorm, und selbst wenn er weit weg auf der Bühne am Flügel sitzt, glaubt man sich noch persönlich manipuliert. Völlig in sich gekehrt, von stoischer Ruhe, inzwischen auch von buddhistisch anmutendem Äußerem sitzt er da - nicht einfach als Pianist, sondern als spirituelle Erscheinung.

Dabei begann alles ganz anders. Als er Anfang der 80er Jahre die Bühne betrat, fegte er die Klavier spielende Konkurrenz mit einem Streich aus dem Feld. Gegen ihn wirkten alle anderen klassischen Musiker und Musikerinnen, die später regelmäßig als Popstars bezeichnet wurden - als ob das eine Auszeichnung wäre - wie Trittbrettfahrer, Hampelmänner, billige Aufschneider.

Popstar Pogorelich

Pogorelich dagegen zog alle in Bann; er sah so sensationell gut aus, dass einige Kritiker sich gezwungen fühlten, vor ihm zu warnen und ihn als "Narziss und Exzentriker" zu diffamieren.

Noch Mitte der 80er Jahre hielt man ihm vor, dass bei dem kurzfristig angesetzten Warschauer Konzert nach seinem Rauswurf beim Chopin-Wettbewerb mehr als 3000 jugendliche Fans die Kassen stürmten. Einige hundert besetzten das Podium, andere sprühten seinen Namen auf die Tür der Künstlergarderobe, in den Kinderzimmern hingen wenig später Ivo-Plakate.

Für den Spiegel-Reporter war das alles zu viel. Ernsthaften Musikkritikern, die es gewagt hatten, Pogorelich wenigstens interessant zu finden, bescheinigte er, "den Yuppie in hautengem Leder mit lasziven Gehabe" mit ihren Artikeln zu "veredeln". Aber alles Gezeter half nichts.

Denn wie immer man Pogorelichs Interview-Aussagen auch drehte, verkürzte und wendete: Er blieb ein seriöser Pianist, dessen eigentliche Wirkung - mögen sich einige Teenies und Reporter auch dagegen gewehrt haben - von seinem Klavierspiel ausging. Und auch dort nicht einmal von seiner fulminanten Fingerfertigkeit und - entgegen seiner androgynen Erscheinung - einer männlich-kraftvollen Pranke, sondern von seiner inneren Spannung; von der Fähigkeit, einen Zustand der Konzentration soweit zu verdichten, dass er energiegeladene Kontemplation und schließlich Transzendenz ist.

Geläuterte Mönchsfigur

Noch heute spürt man diese innere Glut, auch wenn die äußere Kruste des Vulkans ein wenig abgekühlt ist, wenn an die Stelle des hochgewachsenen, strahlend schönen Jünglings eine Mönchsfigur mit Millimeter-Haarschnitt getreten ist.

Es sind viele junge Zuhörer im Publikum, womöglich von schwärmerischen Erzählungen der Mütter gelockt, die manchmal verstohlen sehnsüchtig nach oben schauen. Wie viel verschüttete Sehnsucht mag in ihnen lauern, wie viel mag Pogorelich da im Einzelfall durcheinanderwirbeln und hochkochen zu verstörender Gegenwart, wie sehr mag das Sodbrennen des Erinnerns nachwirken.

So spröde konnte er Chopins Es-Dur-Nocturne gar nicht spielen, so formstreng und scheinbar leidenschaftslos konnte er das eröffnende Allegro Maestoso der h-Moll-Sonate gar nicht angehen, dass nicht doch ein wenig Fin-de-Siècle-Stimmung aufkam. Aber Pogorelich hat mit solcherlei historischen Verirrungen und Gefühlsklitterungen nichts im Sinn. Was immer in den 80er Jahren geschah, Pogorelich hat es hinter sich gelassen, hat die Jahre der Krise, in denen er seine Karriere unterbrechen musste, dazu genutzt, einen Prozess der Wandlung einzuleiten, der bis heute andauert.

Damals, nach dem Tod seiner Frau, ging er in die Schweiz, versuchte, sich zu sammeln, seinen verstörten Stoffwechsel wieder in Ordnung zu bringen. Drei Jahre lang wanderte er durch die Berge, und zurück kam er dann gleichsam als Zarathustra persönlich. Geläutert, schnörkellos, zielsicher. Es ist ein äußerlich einsames, innerlich stets reicher werdendes Leben.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2008/jb
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