Klausur über die Zukunft der ARD:Das Leben ist eine Baustelle

Was tun mit der ARD? Sich mit Volksmusikquoten aus der Tiefe zu ziehen, ist keine Lösung. Auf einer Klausurtagung wollen die Intendanten nun mit Aufräumarbeiten in ihrem Programm beginnen.

Michael Jürgs

Wer bei der Verabschiedung des NDR-Intendanten Jobst Plog, der während seiner Amtszeit den Sender freundlich stur aus dem Würgegriff politischer Parteien befreit hat, die Rede von Dagmar Reim gehört hat, könnte auf einen verwegenen Was-wäre-wenn-Gedanken gekommen sein.

Was wäre wenn?

Was wäre, wenn alle ARD-Granden so klug und so witzig und gleichzeitig so unprätentiös und so eloquent wären wie diese Frau in diesem Moment.

Die Intendantin von Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) verpackte ihre Eloge auf Plog in eine Parabel und benutzte in feinsinniger Ironie die Figuren aus Alan Alexander Milnes unsterblicher Geschichte Winnie The Pooh. Es kamen vor: Pu Bär, gutmütig und von geringem Verstand, Ferkel, eher dümmlich, die kluge Eule, der pessimistische Esel Ia, das naive Kaninchen, Känga und Klein Ruh, der ungestüm-harmlose Tigger und natürlich Christopher Robin.

Wer ist wer?

Wer nun wer ist bei der Klausurtagung der ARD-Intendanten in Berlin oder wen sie zur stillen Freude der Plog-Gemeinde damals gemeint hat, mögen die neun Damen und Herren unter sich ausmachen beim abendlichen Absacker. Tagsüber geht es um den Finanzausgleich, auch um den kommenden Vorsitzenden der ARD, den Chef des Hessischen Rundfunks, Helmut Reitze, der von 2009 an die Geschäfte führen könnte. Beschlüsse werden nicht gefasst. Zwar steht auch die Gesamt-Reform des Programmschemas an, aber darüber werden nur Positionen ausgetauscht.

Ein abgesoffenes Loch

Unstrittig ist in der Runde, dass die große Unterhaltungsshow am Samstag ein abgesoffenes Loch ist, in das blubbernd Brackwasser fließt. Sich mit Volksmusikquoten aus der Tiefe zu ziehen, ist keine Lösung. Stefan Raab hat bei Pro Sieben bewiesen, dass er für eine geile Show, wie das wortarm unter Seinesgleichen heißt, alles tut, nicht einmal sich selbst scheut. Man müsste ihn frei kaufen wie auch Hape Kerkeling (RTL), der allerdings vom ZDF umworben wird.

Die ARD hat Oliver Pocher, 30. Als Partner von Harald Schmidt ist er intellektuell bereits an seinen Grenzen angelangt, hat sie oft unterschritten, aber für eine eigene ARD-Prolo-Show, zugespitzt aufs jugendliche Publikum, dessen Gürtellinie auch tief auf den Knien hängt, ist er genau der Richtige.

Nicht das Erstbeste

Streng könnte jetzt die Eule Monika Piel, die in Köln beim WDR brütet und mit ihrer Weisheit gerne die anderen vorführt, auf ihre spitze Art fragen, ob man diesen Menschen überhaupt wolle und ob man nicht Wesentliches besprechen könnte. Zum Beispiel die Lage der Tagesthemen, zum Beispiel die Inhalte der Politmagazine, zum Beispiel die Sendeplätze für Dokumentationen usw. Schließlich seien sie das Erste und nicht das Erstbeste und zur Bildung und Aufklärung des Volkes verpflichtet, außerdem sei sie unter den Anwesenden die größte, stärkste und deshalb eh die Beste.

Bevor sie dann zu einer ihrer von großen und kleinen Tieren gleichermaßen gefürchteten Episteln anheben kann, müsste jetzt an dieser Stelle der Klausur ein Bote in den Saal schleichen, gern auch Christopher Robin, in der Hand den Zettel, den ihm ein paar ARD-Profis in die Hand gedrückt haben, die von den Intendanten nicht mit zu Tisch gebeten wurden, etwa der ARD-Chefredakteur Thomas Baumann, die BR-Fernsehspielchefin Bettina Reitz oder WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn.

Geheimsache

Was tatsächlich auf einem solchen Wunschzettel steht, ist zwar geheim, aber es steht in Berlin an: für die Tagesthemen einen einheitlichen Sendetermin zu diskutieren, weil es mit verspäteten Ankunftszeiten auf der Informationsbaustelle ARD so nicht weitergehen kann, weil das einfach Scheiße sei, wie ein sonst wohl erzogener ARD-Hierarch unlängst zu Protokoll gab, und nein, es war nicht Dagmar Rheim.

Entschieden ist das Fortleben der sechs Politmagazine statt der sinnvollen Alternative, ein gemeinsames politisches Magazin gegen Frontal 21 (ZDF) zu setzen und die anderen fünf regional abzustrahlen. Die schlechten Quoten der drei am Montag — Fakt, Report Mainz, Report München - liegen ja nicht nur an manchmal ausgelutschten öden Inhalten, liegen nicht an den Moderatoren, egal nun ob weiblich, männlich oder dazwischen, sondern oft auch an den Sendungen, die vor ihnen die Zuschauer in Scharen verjagt.

Die guten Quoten derer vom Donnerstag — Kontraste, Monitor, Panorama -, die im Vergleich um vier Prozent höher sind, liegen deshalb auch nicht nur an mutigeren investigativen Inhalten, sondern am besseren Umfeld.

Die Erde bebt

Die Veranstaltung leitet übrigens ein Mann, der aus dem Bundesland kommt, in dem es richtige Baustellen gibt. Rings um seinen Sender in Saarbrücken bebt die Erde. Der Saarländer Fritz Raff redet vielleicht deshalb gern so wie es aus ihm spricht, als habe er keine Zeit für klare Gedanken, weil jeden Moment Steine auf ihn fallen könnten.

Dennoch hatte er gerade einen klaren Gedanken, als er dem ostdeutschen Jugendmagazin Spiesser die Bruce-Darnell -Vorabendplotte der ARD zerlegte. Selbst beim Call-In-Kanal 9 Live wären die Verantwortlichen von den Eignern gezwungen worden, als Buße ein Monatsgehalt zu überweisen an Stiftungen wie Dunkelziffer, Amnesty, Alzheimergesellschaft, Ärzte ohne Grenzen, falls sie einen solchen Schwachsinn ins Programm gehoben hätten.

Was Raff eigentlich sagen wollte: Bloß keine zweite Staffel mehr von dieser Art Styling, weil dieser Stil den Ruf ruiniert.

Einer aber muss den Schrott abgenickt haben und ins Programm gehievt haben. Selbst Pu, bekanntlich ein Bär von geringem Verstand, siehe oben, wäre nie auf so was Dummes gekommen. Vielleicht weiß Dagmar Reim mehr?

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: