Süddeutsche Zeitung

Klaus Wagenbach:Bunter Tintenfisch

Wie aus Schwarz eine große Farbenvielfalt wurde: Der große unabhängige Verleger Klaus Wagenbach wird neunzig Jahre alt. Sein Wagenbach-Verlag blieb immer klein und beweglich, außerdem auf eine listige Weise selbst­bewusst.

Von Helmut Böttiger 

Es war schlüssig, dass der am 11. Juli 1930 geborene Klaus Wagenbach bald nach dem Kriegsende 1945 mit dem Fahrrad gleich bis nach Italien fuhr. Dort konnte er die verwirrenden Erscheinungsformen des alltäglichen Lebens noch unvermittelt wahrnehmen, und nahm das genussvoll nach Hause mit. Die zweite Grunderfahrung vermittelte ihm der Hersteller des "Suhrkamp-Verlags vormals S. Fischer" Fritz Hirschmann, nämlich die Lektüre Franz Kafkas. Sie öffnete dem jungen Hilfsbuchhalter erst so recht die Augen für Literatur. Wagenbachs Biografie über Kafkas Jugend richtete 1958 einen völlig neuen Blick auf diesen Jahrhundertautor und entriss ihn den Mystikern. Daneben lernte Wagenbach durch Hirschmann auch die diversen Möglichkeiten von Papier und Schrift kennen. Wagenbachs Lieblingsfarbe wurde Schwarz, und er strich seine erste Studentenbude aus Begeisterung für Kafka ganz in dieser Farbe.

Aus Schwarz wurde dann allmählich etwas sehr Buntes. Wagenbachs spezifische politische Entwicklung hatte einschlägige Stationen: Trennung vom Verlag S. Fischer (in erster Linie wegen der unterschiedlichen Haltung zur DDR) und Gründung eines eigenen Verlags 1964, Wahlkampf für Willy Brandt 1965, Verleger der radikalen linken Starjournalistin Ulrike Meinhof. Und zur repräsentativen Tagung der Gruppe 47 in Princeton/USA im Jahre 1966 reiste Wagenbach wegen Flugangst mit dem Schiff, zusammen mit dem Ehepaar Grass: "Grass fuhr erste Klasse, ich dritte, in der zweiten trafen wir uns zum Skatspielen." Wagenbach ist der beste deutsche Beweis dafür, dass politisches Bewusstsein und Humor sich nicht von vornherein ausschließen müssen.

Nach dem Bau der Mauer strebte er programmatisch ein gesamtdeutsches Profil an

Von Band zu Band seiner legendären "Quarthefte" wuchs das Ansehen des Verlags. Sie waren der berühmten Reihe "Der jüngste Tag" im Kurt Wolff Verlag nachgebildet (wo im übrigen auch Kafka erschienen war): Kladden in schwarzer Pappe mit einem Aufkleber mit Autor und Titel wie auf einem Schulheft - so einfach wie nur möglich gehalten, aber sofort wiedererkennbar.

Kompromisslose Gegenwartsliteratur mischte sich hier mit kritischen Analysen der Gesellschaft. Wagenbach betrat mit seinem Verlag in vielerlei Hinsicht Neuland. Er strebte nach dem Bau der Mauer programmatisch ein gesamtdeutsches Profil an und warb in der DDR mit Johannes Bobrowski um einen deutschen Ausnahmelyriker. Autoren wie Jakov Lind, Giorgio Manganelli oder Aimé Cesaire verkörperten die Absicht, weit über die nationalen Grenzen hinauszublicken. Zudem erschien die Büchnerpreisrede von Ingeborg Bachmann gleich als Quartheft Nr. 6 und zeigte, dass die gesellschaftspolitischen Ambitionen nicht mit einer Hintanstellung ästhetischer Fragen einhergingen.

Man verstand sich emphatisch als "Verlagskollektiv", es sollte keine hierarchischen Machtstrukturen geben. Das führte allerdings auch zu Phasen größten privater wie politischer Krisen und bildete den Hintergrund dafür, dass Wagenbach neben dem Prädikat der "dienstältesten Kafka-Witwe" noch ein ganz anderes erhielt, nämlich "Deutschlands am meisten vorbestrafter Verleger".

Im Jahr 1978 schließlich, mitten in die Kakophonie der bundesdeutschen Linken, nach der Spaltung des Verlags in Wagenbach- und Rotbuch-Verlag und der Katerstimmung des "deutschen Herbstes", setzte Wagenbach mit Pier Paolo Pasolinis "Freibeuterschriften" zu einem unvorhergesehenen Paukenschlag an und leitete damit den Rhythmuswechsel ein. Nicht zufällig wurde kurz danach die Partei "Die Grünen" gegründet: Die deutsche intellektuelle Linke konnte jetzt daran anschließen, was Pasolini bereits Ende der sechziger Jahre thematisiert hatte, nämlich die Zerstörung der Identität durch Konsumismus.

Der Wagenbach-Verlag blieb immer unabhängig, klein und beweglich, und wenn er Jahrbücher und Reihen mit Signets wie dem "Tintenfisch" oder dem "Karnickel" versah, sprach daraus ein listiges Selbstbewusstsein. Klaus Wagenbach hat sich das gehaltvolle Glas italienischen Rotweins, das er sich zu seinem neunzigsten Geburtstag im Kern des alten West-Berlin gönnen wird, mehr als verdient.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2020
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