Klaus Theweleit wird 80:Klassiker der Dissidenz

Klaus Theweleit wird 80: Seine Untersuchung "Männerphantasien" wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation: der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit.

Seine Untersuchung "Männerphantasien" wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation: der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit.

(Foto: Patrick Seeger/picture alliance / Patrick Seeger)

Klaus Theweleit entwickelte eine neuartige Theorie zur Zurichtung des soldatischen Mannes. Bis heute hilft sie, faschistische Tendenzen zu verstehen. Jetzt wird der Freiburger Kulturwissenschaftler 80 Jahre alt.

Von Sigrid Löffler

Sie ist bis heute die berühmteste Doktorarbeit Deutschlands: Klaus Theweleits "Männerphantasien". Was der Freiburger Literaturwissenschaftler 1977 vorlegte, war eine neuartige Faschismus-Deutung, in der Geschlechter-Psychologie, Patriarchats-Kritik und Gewalt-Diskurs zusammengedacht wurden. Auf fast 1200 Seiten lieferte Theweleit eine ideologiekritische Untersuchung über Selbstbild und Frauenbild faschistischer Männer der 1920er-Jahre, so, wie sich diese aus der Freikorps-Literatur, den Selbstzeugnissen von Angehörigen paramilitärischer Kampfbünde in der Weimarer Zeit herausfiltern ließen.

Aus den Angstlust- und Gewaltfantasien dieser soldatisch zugerichteten Männer gewann Theweleit seine Theorie. Er deutete Faschismus als eine Art Mangelerkrankung der männlichen Psyche, die zu ihrer Selbststabilisierung mit Aggressivität und gewalttätiger Gefühlspanzerung auf die Furcht vor dem Weiblichen und die Angst vor der Ich-Auflösung reagierte.

Dass "Männerphantasien" - nicht zuletzt dank Rudolf Augsteins monumentaler Jubelrezension im Spiegel - zum Theorie-Kultbuch einer ganzen Generation, zum Best- und Longseller avancierte, verdankt sich auch seiner sprachlichen Form. Der Autor hatte sich einen singulären Schreibstil zurechtgelegt - provokant anti-akademisch, anarchisch, aber zugleich angereichert mit vielerlei gelehrten Theorien. Die völlige Absenz jeder zwanghaft akademischen Sprachlichkeit war ein Novum für eine akademische Dissertation und äußerst lustvoll zu lesen.

Die Prosa glich eher einer multimedialen Jam-Session als einem akademischen Opus

In einem unverschämt lockeren Parlando bahnte sich dieser Text seine ganz eigenen Argumentationspfade, verzweigte sich mäandernd und uferte scheinbar unmethodisch und wie improvisierend aus in einem unbändigen, assoziativen Erzählstil, der sich über alle Sprachregelungen sämtlicher Denkschulen hinwegsetzte.

Diese Prosa glich eher einer multimedialen Jam-Session als einem akademischen Zunft-Opus. Ein wahres Materialgewitter von Texten, Bildern und Illustrationen ging da auf die Leser nieder. Text- und Bildmaterial wurde collagiert, die unterschiedlichsten Diskursformen und Bildwelten verbanden sich zu einem exuberanten zweibändigen Schrift- und Bilderbuch.

Auffällig war insbesondere die Aufwertung der Populärkultur. Parallelströme aus Trivialmythen, Werbung und Kulturindustrie flossen mit ein, aus Popmusik, Kino, Comics und Fernsehen. Angezapft und zur Sprache gebracht wurden auch die jeweils zugehörigen Pornografien hinter den Produkten der Pop- und Werbe-Welt.

"Männerphantasien" ist ein Klassiker der Dissidenz, verfasst von einem exterritorialen Gelehrten

Zum Vorschein kam das pornografische Unbewusste der Trivialkünste, der Pop-Ästhetiken und der politischen und kommerziellen Reklame-Ikonografien. Schundliteratur avancierte zum Gegenstand ernsthafter Untersuchung, wurde einem Close Reading unterzogen und durfte ihren Ludergeruch verströmen. Diese Arbeit stützte sich wie selbstverständlich auch auf anrüchige und in academia verpönte Quellen.

Damit wurde Klaus Theweleit die erste große Beispielfigur für den exterritorialen Gelehrten sui generis - ein genialischer Nonkonformist, von universitären Zunftgenossen scheel angesehen und eher geächtet als geachtet. Und doch verdanken unsere Geistes-, Kultur-, Sozial- und Medienwissenschaften gerade solchen freischaffenden Außenseiter-Gelehrten von Friedrich Kittler und Helmut Lethen bis Reiner Stach und Götz Aly bahnbrechende Werke. "Männerphantasien" ist der erste dieser Klassiker der Dissidenz.

Sein unnachahmlicher Sound ist inzwischen zu seinem Markenzeichen geworden

Klaus Theweleit hat sich auf dem Erfolg seines Opus magnum nicht ausgeruht - er hat ihn allerdings auch nicht wiederholt. Als Freistil-Kulturwissenschaftler arbeitet er weiter an seinem Hauptgeschäft, seiner Theorie der männlichen Gewalt in Politik, Kunst, Literatur, Mythos und Geschichte, wobei sich sein Augenmerk immer zwingender auf die Geschichte der Kolonialismen verlagert.

Sein Stil, der unnachahmliche Sound, mit dem er sich durch seine Materialien rockt und rappt, ist inzwischen zu seinem Markenzeichen geworden. Sein imposantes Œuvre ist ein sich selbst entgrenzendes und womöglich unabschließbares Projekt, ein Work in Progress über Männergewalt und Frauenleiber, Kunstmythen und Machtmythen. Heute wird Klaus Theweleit achtzig Jahre alt.

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