Klassischer Tanz:Biedermeierlich, kokett, frivol

Klassischer Tanz: Coppélius (Luigi Bonino) wird von Swanilda (Virna Toppi) getäuscht. Er hält sie für Coppélia.

Coppélius (Luigi Bonino) wird von Swanilda (Virna Toppi) getäuscht. Er hält sie für Coppélia.

(Foto: Wilfried Hösl)

Das Bayerische Staatsballett mit Roland Petits "Coppélia"

Von Eva-Elisabeth Fischer

Die letzte "Coppelia" an der Bayerischen Staatsoper war die von Youri Vámos im Jahr 1981, ein harmloses Ballettmärchen, in dem Joyce Cuoco als Swanilda/Coppelia wie sonst auch unerschütterlich ihre Pirouetten in die Höhe schraubte. Was wäre gewesen, hätte Igor Zelensky den Auftrag für eine zeitgemäße Version des ursprünglich letzten romantischen Balletts "Coppelia" aus dem Jahr 1870 an eine ebenso kluge wie lässig-provokante Choreografin, nämlich zum Beispiel an die Dänin Mette Ingvartsen vergeben? Dann wäre es vermutlich nicht bei diesem einzigen entlarvenden Tanz mit abgründig doppeltem Boden geblieben, in dem sich Meister Coppélius selig-verloren in Roland Petits "Coppélia", dem ersten Petit am Hause, mit seinem Automatengeschöpf dreht. Es ist der letzte Walzer dieser walzerseligen Musik von Léo Delibes, getanzt mit einer schmiegsamen Gummipuppe, die sonst, aufgerüscht in schwarzer Spitze zu einer unnahbaren Spanierin mit Fächer vor dem Gesicht und ebenso keusch wie verlockend gekreuzten Spitzenschuhen unbeweglich in Coppélius' Schaufenster sitzt.

Coppélias Spitzenschuhe sind für den Walzer an Coppélius' Schuhen befestigt und lassen ahnen, was der Magier gern noch alles mit ihr anstellte. Sonst nämlich ist diese Puppe ein starres Ungetüm aus Holz, das am Ende in seine Einzelteile zerfällt - und damit den Traum des armen, alten Gecken Coppélius von der willigen Gefährtin zunichte macht. Eine wie Mette Invartsen würde die Holzpuppe ganz und gar zugunsten einer maßgefertigten Sexpuppe von der Bühne verbannen. Für diese könnte die schöne Swanilda, Verlobte des jungen Franz, welcher sich nun wiederum in ihr Puppen-Double verguckt, ruhig weiterhin das heimliche Modell abgeben. Dann aber wären die Zuschauerreihen im Nationaltheater zur Premiere der "Coppélia" vermutlich nur schütter besetzt, und es würde wohl kaum wiederholten Szenenapplaus und am Schluss eher Buhs als Ovationen wie an diesem Abend gegeben.

Was hier so einhellig den Publikumsgeschmack trifft, ist die 1975 von Roland Petit an E.T.A. Hoffmanns Märchen "Der Sandmann" angelehnte und in bewunderungswürdiger Kleinarbeit von Petits Erbwalter Luigi Bonino auf den Punkt einstudierte Choreografie von "Coppelia". Nun, da französisch mit einem Accent aigu versehen, lässt es der Choreograf à la française in der Puppenkiste rappeln, zaubert daraus fesche Soldaten und blitzsaubere Mädchen hervor, die wie die aufgezogenen Marionetten in Fenstern posieren. Oder in Reih' und Glied Arme, Hände, Beine, Füße in aberwitziger choreografischer Petit-Point-Stickerei feinste Tanzmuster von staunenswerter Akkuratesse in ihre durch und durch biedermeierliche Welt setzen. Da neigt sich jeder Federbusch, jeder Kopf millimetergenau im gleichen Winkel.

Roland Petit, ein Freund literarischer Stoffe und des stilistischen Eklektizismus, mischt Ballett und Revue samt mitreißenden Details. Bereits im ersten Auftritt von Franz kontrastiert er die Eleganz ballettprinzlicher Bravour mit einer schmissigen Mazurka vor weißer Kleinstadtkulisse, hinter der sich auch die Werkstatt des Coppélius verbirgt. All die bunt beleuchteten Fenster, denen posierende Tutu-Püppchen entsteigen, suggerieren Rotlichtmilieu - und gehören damit zu den unlösbaren ironischen Aperçus, die der Choreograf punktuell in die gradlinig erzählte Geschichte streut.

Am Ende schmeißt das Weibervolk die Beine im Cancan, ganz wie im Moulin Rouge - oder auch im Revuetheater Casino de Paris, das Roland Petit 1970 bis 1975 leitete, und wo er Revuen für seine Frau Zizi Jeanmaire kreierte. Das Kokett-Frivole also mischt er mit leichter Hand unters Traditionelle, was heute nur erträglich ist, weil er's so virtuos und hochmusikalisch betreibt. Solcher Melange entsprechen das pointierte Dirigat Anton Grishanins wie auch die Spiellust des Bayerischen Staatsorchesters. Die neuen Solisten Virna Toppi und Denis Vieira bestricken als Swanilda/ Coppélia und Franz durch Charme, Frische und coole Präzision. Luigi Bonino gibt, wie schon so oft - kleiner Mann oho! - den Coppélius als tragikomischen Verlierer. Leider nur als Gast.

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