Klassische Musik:Techno und Klangrhetorik

Wichtiges beim Weinberg-Festival des Jewish Chamber Orchestra

Von K. Kalchschmid, E. Tholl

Mieczysław Weinberg hatte Erfahrung mit Gebrauchsmusik, Filmmusik, mit ihr überlebte er, als er bei den sowjetischen Kulturverwaltern nicht wohlgelitten war. Aber "Die Kraniche ziehen" kam 1957 heraus, da stand Weinberg nicht mehr in Ungnade, und: Was heißt da schon Gebrauchsmusik? Der Film von Michail Kalatosow ist ein Bilderrausch, irrsinnig modern, krass geschnitten, viele Überblendungen, psychische Zustände in rasanten Bildern. Weinbergs Musik dazu rast in dem Strudel mit, ein aufwühlendes Erlebnis. Der sowjetische Film erhielt 1958 die Goldene Palme in Cannes, in der DDR allein sahen ihn drei Millionen Menschen. Er erzählt die bewegende Geschichte einer Liebe, die der Krieg zerstört, wie die Bomben die Häuser Moskaus. Ja, er ist auch Propaganda, das Moskau vor dem Überfall der Hitlertruppen ist ein lichtes, duftendes Idyll, heller als die Realität. Egal, es wirkt.

Es ist so toll wie wichtig, dass dieser Film im Rahmen des Weinberg-Festivals des Jewish Chamber Orchestra (JCOM) im Kino Neues Rottmann zu sehen war. Das Orchester selbst hatte tags zuvor einen großen Auftritt im Schauspielhaus der Kammerspiele. In der "Rhapsodie über moldawische Themen" vereinen sich Melos, Volksmusik und Jüdisches. In seiner zweiten Symphonie und seiner vierten Kammersymphonie arbeitet Weinberg immer wieder mit stark solistischen Stellen; er liebt Klangrhetorik, seine Werke sind Geschichten, erzählt allein von den Musikern. Dadurch ergreifen, betören sie. Endlich hörte man sie live, dank Daniel Grossmann, Leiter des JCOM.

Sogar den Luxus einer halbszenischen Kammeroper leistet man sich: "Lady Magnesia" nach dem Einakter "Passion, Poison and Petrifaction" von George Bernard Shaw, der schon im Titel die Ingredienzien des Werks von 1975 benennt: Ehemann begrüßt den Liebhaber der Frau und vergiftet ihn, das Gegengift Gips - in flüssiger Form eingenommen - lässt ihn von innen versteinern. Das 71. Shakespeare-Sonett, das er als Statue singt, bildet hier den Prolog mit Musik von Lully und einem Techno-Loop auf Motive der Oper. Nach ihm tanzen Lady Magnesia (eine eiskalte Lady mit schillerndem Sopran: Susanne Bernhard) und Adolphus (mit schönem, sinnlichem Bariton: Petro Ostapenko) wie in der Disco.

Weinbergs Musik für Piccoloflöte, Klarinette, Saxofon, Horn, Trompete, E-Gitarre, Klavier, Harmonium, Schlagwerk und solistische Streicher ist oft ausnehmend sparsam und schräg, verfällt auch immer wieder ins Jazz-Idiom. Miriam Ibrahim, Regieassistentin der Kammerspiele, deutet Interaktion nur an; doch die futuristischen Kostüme, die entsprechende Maske und die Videos (beides von Nicole Wytyczak) bieten genügend Schauwert.

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