Enoch zu Guttenberg hat viele große Auftritte gehabt im Leben. Seinen womöglich größten aber konnten seine Bewunderer im März 2011 beobachten, nur ein paar Schritte entfernt vom Schloss derer zu Guttenberg in jenem fränkischen Dorf, das den Namen des Dirigenten trägt: Guttenberg. Der Mann, den sie dort den "Baron" nannten, konnte sein Leben lang nichts mit halbem Herzen tun, schon gar nicht irgendwo auftreten. Er wirkte immer angefasst, von dem, was er tat. Kaum je aber dürfte er so angefasst gewesen sein wie an jenem Samstag im Spätwinter 2011, seinem vielleicht spontansten Auftritt.
Beobachtern wird ein unwirkliches Bild in Erinnerung bleiben. Der damals 64-Jährige hatte eigentlich vom Oberfränkischen aus nach Süden aufbrechen wollen an diesem Tag, in seine zweite Heimat in Oberbayern. Als er aber vor die Schlossmauern fuhr, stand da diese Menge von Menschen aus seinem Heimatort, viermal mehr, als das Dorf Einwohner hat. Eine solche Menschenmenge hatte dieser Ort noch nicht gesehen in seiner 750-jährigen Geschichte: eine Art Dorfdemonstration zugunsten eines schwer taumelnden Bundesministers, des Sohns von Guttenberg. Die Menschen trugen Transparente in den Händen und riefen "Herr Baron, Herr Baron".
Guttenberg ist zunächst vorbeigefahren, bevor er sich entschied, noch mal zurückzukehren. Der Vater des Mannes, der damals noch Bundesverteidigungsminister war, hat etwas loswerden wollen an diesem Tag. Erst machte er sich Notizen, über das, was die Leute da auf ihre Plakate geschrieben hatten: "Ohne KT, Deutschland ade" und "Ein Guttenberg tritt nicht zurück. Er nimmt nur Anlauf." Als dann die "Herr Baron, Herr Baron"-Rufe immer lauter wurden, stieg Guttenberg, einem römischen Volkstribun nicht unähnlich, auf einen Traktoranhänger. Sagte zunächst: "Ich bin doch der Falsche." Und hielt dann eine Philippika gegen Medien, die seinen unter Beschuss geratenen Sohn Karl-Theodor angeblich viel zu gröblich anfassten.
Wer Guttenberg kannte und sich nicht nur in den pathetischen Momenten seines Lebens mit ihm austauschte, der wusste, dass dieser Mann viel zu intelligent war, um nicht zu wissen, dass sein Sohn bestimmt nicht zu Unrecht kritisiert wurde. Niemand anders dürfte mehr unter der Affäre Guttenberg gelitten haben, als er, der Vater. Und natürlich wusste Guttenberg in dem Moment, dass der Jubel der dörflichen Verehrer seines Sohnes ihm gewiss sein wird; dass er in der Öffentlichkeit aber hart angegangen werden würde für seine polemischen Worte von einem Traktoranhänger herab. Das aber war Guttenberg in dem Moment egal. Ein Vater wirft sich vor den Sohn, wenn der im Sturm steht. Auch wenn er selbst überzeugt davon ist, dass der Sohn Mist gebaut hat.
Wenn es sein musste, konnte Guttenberg ein Don Quijote sein
Gegen den Strom zu schwimmen, war etwas, das Enoch zu Guttenberg mit Überzeugung tat. So sehr er angewiesen war auf Applaus, so sehr fürchtete er auch den Gegenwind nicht. Das war schon so, als er 1975 den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland mitgründete - damals beileibe noch keine Einrichtung, die auf allgemeine Zustimmung hoffen durfte. Als die ihm dann für seinen Geschmack zu vehement für Windräder eintrat, brach er mit alten Öko-Freunden und duellierte sich sogar vor Gericht mit ihnen. Wieder konnte er kaum auf allgemeinen Applaus hoffen. Und das Argument, dass da offenbar nur einer gegen die angebliche Verschandelung der Natur durch Windräder wettere, weil diese dem dirigierenden Herrn Baron rein ästhetisch nicht in seine reichhaltigen Waldgebiete in Oberfranken passten - dieses Argument konnte er sich auch vorher ausmalen. Er kämpfte trotzdem gegen die Windmühlen. Wenn es sein musste, konnte Guttenberg ein Don Quijote sein. Und war es gern.
"O Gott, der Bub wird Künstler!" Das war der Schreckensschrei in der Familie, die mit dem Bub anderes vorhatte; er sollte den Familienbesitz verwalten. Er aber übernahm 1967, mit gerade mal 21 Jahren, lieber die Chorgemeinschaft Neubeuern. Ein Zufall, Guttenberg lebte gerade in dem idyllischen oberbayerischen Ort, studierte Musik, der Dirigent fiel aus, er sprang ein und acht Jahre später sang die Laientruppe zum ersten Mal in München, in den Achtzigerjahren folgten internationale Tourneen bis nach Südamerika. Aus der Chorgemeinschaft war ein Spitzenensemble geworden, die Bierkästen, auf denen man 1967 noch währen der Proben saß, waren längst verschwunden. Mittlerweile hat der Chor Asien bereist, die USA, sang in der Carnegie Hall.