Süddeutsche Zeitung

Klassische Musik:"I am so happy!"

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In Hamburg wird die Elbphilharmonie eröffnet, womit auch diese Frage beantwortet wird: Ist das jetzt der beste Konzertsaal der Welt?

Von Till Briegleb

Geheimniskrämerei gehört zur Geschichte der Elbphilharmonie seit ihrer Erfindung dazu. Und dieser Tradition bleibt man in Hamburg treu, wenn auch nicht mehr in der täuschenden Absicht, mit der während der Bauzeit die vielen Skandale verheimlicht werden sollten. Geheimniskrämerei zur großen Show der Elbphilharmonie-Eröffnung, die nach 16 Jahren Projektgeschichte nun endlich an diesem Mittwoch stattfinden kann, ist mehr ein Bescherungsritual. Das Programm des Festaktes soll geheim bleiben, bis der Große Saal im Beisein von Angela Merkel und Joachim Gauck am Abend eingeweiht wird.

Was Hausdirigent Thomas Hengelbrock mit seinem "NDR Elbphilharmonie Orchester" darbieten wird, will also vorher nicht verraten sein. Jedenfalls nicht genau, denn in Pressemitteilungen steht dann doch schon drin, dass die Gäste "eine musikalische Reise von der Renaissance bis in die Gegenwart" erleben werden, mit Musik von Praetorius, Liebermann, Beethoven und Wagner sowie einem neuen Werk von Wolfgang Rihm. Für die erste öffentliche Klangprobe der bezaubernden Grotte, die Herzog & de Meuron zum einhelligen Applaus der Architekturkritiker unter dem gläsernen Wellendach geschaffen haben, ist dieser historische Querschnitt natürlich prädestiniert. Denn der wahre Fetisch dieses Neubaus ist die Akustik.

Hat es sich wirklich gelohnt, alle Wände und Balustraden des Saals mit der sogenannten "Weißen Haut" zu überziehen, einer in individuellen Einzelstücken gefrästen Gipsverkleidung aus 10 000 Teilen, die aussieht wie der gewellte Sand im seichten Wasser eines Traumstrands? Kann der riesige hängende Akustik-Pilz unter der Decke, der an die fliegenden Gebirge auf den psychedelischen Pop-Covern der Siebziger von Roger Dean erinnert, wirklich garantieren, dass eine Motette des Barock ebenso gut klingt wie die abstrakte Emotionalität zeitgenössischer Kompositionen - oder die Einstürzenden Neubauten, die während des dreiwöchigen Eröffnungsfestivals ebenfalls hier spielen werden?

Ist der extrem steile Anstieg dieses Musikstadions, der auch den 2100sten Hörer in der letzten Reihe näher ans Geschehen bringt als in jeder Fußballschüssel (nämlich bis auf 30 Meter), wirklich pure Erlebnisdemokratie, wie versprochen? Und rechtfertigte es die angestrebte Perfektion des Hallenklangs, dass der berühmte Klangingenieur Yasuhisa Toyota, der für all diese Festlegungen die physikalische Expertise geleistet hat, kurz vor Fertigstellung des Gebäudes noch einmal die gesamte Bestuhlung ändern ließ?

Das öffentliche Skandalgedächtnis ist erschreckend kurzlebig

Das wollen nun alle Besucher selbst überprüfen, nachdem sie bereits beeinflusst sind von Presseberichten, in denen erste Orchestertests beschrieben wurden. Toyota sei herumgehüpft, hätte alle umarmt und jubiliert: "I am so happy!" Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz sah Musiker, die nicht nur zufrieden, sondern "erleuchtet" zu sein schienen. Und Hamburgs Generalmusikdirektor Kent Nagano äußert genau die Überzeugung, die nun alle Beteiligten nach dem Streckbett finanzieller und terminlicher Quälerei hören wollen, durch die das Gebäude erst sieben Jahre später als geplant und doppelt so teuer wie nötig eröffnen kann: Die Elbphilharmonie habe den "besten Saal der Welt".

Mitten im Getümmel des Festaktes, zu dem von der Staatsspitze bis zu Prominenten wie Fatih Akin auch tausend glückliche Gewinner einer Verlosung gehören, wird man auch die wahren Verursacher dieses Winternachtstraums ausmachen können: den Projektentwickler Alexander Gérard und seine Frau Jana Marko, die 2001 die Elbphilharmonie erfanden, mit Herzog & de Meuron auf eigene Kosten bis zur Präsentationsreife entwickelten, um dann, als das Projekt dank großer öffentlicher Unterstützung an Fahrt aufnahm, vom damaligen Bürgermeister Ole von Beust aus dem Prozess gedrängt zu werden - womit die Vieldisharmonie einer dilettantischen und horrend teuren Baugeschichte begann, die jetzt gerne alle vergessen wollen.

Jana Marko hat sich für diesen feierlichen Anlass einen Rock nähen lassen, auf den alle "Unterstützer der ersten Stunde" mit ihren Konterfeis gestickt sind. Dieses Beinkleid-Transparent ist sicherlich nicht nur ein sehr origineller Dank an die Menschen, die im politischen Zerrkampf um Eitelkeiten und Kosten nicht vergessen haben, wer dieses nun weltweit gefeierte Gebäude erst möglich gemacht hat. Man wird es auch als Statement lesen können, nicht ganz auszublenden, dass es Schuldige für das Debakel gibt, die auf dieser sprechenden Garderobe vermutlich fehlen werden.

Denn das öffentliche Skandalgedächtnis ist doch erschreckend kurzlebig. Seit mit der Fertigstellung am 31. Oktober 2016 die Plaza zwischen gläsernem Aufbau und alter Speicherhülle der Öffentlichkeit übergeben wurde, drängen sich die begeisterten Massen an die Reling des umlaufenden Aussichtsbalkons. Die Karten für die Konzerte sind auf Monate ausverkauft. Und überall herrscht eine Stimmung wie im Wirtschaftswunder, wo man an die Schattenseiten der Vergangenheit bitte nicht erinnert werden will.

Aber trotz all dieser Geschichtsvergessenheit ist der große Traum, in Deutschland ein ähnlich signifikantes und schönes Gebäude wie die Sydney-Oper zu haben, am Ende eben erfüllt worden. Der kollektive Ausdruck auf den Gesichtern, die bisher die Elbphilharmonie von innen erleben durften, war: I am so happy! Vermutlich kann Yasuhisa Toyota bald viele Gleichgesinnte umarmen.

Die Eröffnung wird ab 18.30 Uhr live im NDR-Fernsehen und -Radio sowie per 360-Grad-Livestream auf der Website der Elbphilharmonie, www.elbphilharmonie.de/de/virtuell, übertragen.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2017
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