Süddeutsche Zeitung

Klassische Musik:Die Zeit danach

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Die Herrenchiemsee-Festspiele eröffnen im Münster der Fraueninsel - wie geht es weiter nach dem Tod von Enoch zu Guttenberg?

Von Egbert Tholl, Frauenchiemsee

Die Fahrt mit dem Schiff von Prien zur Fraueninsel ist schön wie immer, das Wetter ist herrlich, stürmisch, aufregend. Wieder einmal ist es die richtige Einstimmung auf ein Konzert, die einen der Welt entrückt und gleichzeitig empfänglich macht für das Kommende, drei Kantaten von Johann Sebastian Bach, einer sehr frühen, ungestümen, einer mittleren, opernhaften und einer späteren, einem abgeklärten Kunstwerk. Natürlich ist auch das Münster Frauenchiemsee mit seiner spirituellen Atmosphäre selbst immer noch ein prächtiger Ort, das ist es schon sehr lange und wird es noch lange sein. Nur wie lange die Herrenchiemsee-Festspiele hier noch stattfinden, das kann und will momentan niemand mit absoluter Sicherheit sagen.

Auch Josef Kröner nicht. Kröner war 1997 Mitgründer des Orchesters der Klangverwaltung, ist seit drei Jahren mit Enoch zu Guttenberg zusammen für das Programm der Festspiele verantwortlich und seit vergangenem Jahr deren Geschäftsführer. Er hat die Festspiele aus den Zeiten, in denen mit Unterstützung der Deutschen Bank große Opern und große Gastorchester möglich waren, überführt in die momentane Situation, in der der Freistaat 55 Prozent des Etats trägt, was in der Summe deutlich weniger ist als der Betrag, der gemeinhin kolportiert wird. Eigentlich sollte die Planung für die Festspiele mit dem Ministerium bis 2020 fixiert sein, doch derzeit hofft Kröner inständig, dass sie überhaupt im kommenden Jahr stattfinden werden. Er sei seit Januar mit der Planung für 2019 beschäftigt und mache in Guttenbergs Sinn damit nun einfach weiter, bis jemand käme und sagte: nö.

Vor einem Monat starb Enoch zu Guttenberg, und dieser Tod liegt wie ein Schatten über dem Beginn der diesjährigen Festspiele. Dazu gehört auch die Ungewissheit, wie es mit der Chorgemeinschaft Neubeuern, die Guttenberg zu einem Chor mit Weltgeltung formte, und dem Orchester der Klangverwaltung weitergehen werde. Kröner meint, das Orchester habe ein gutes kollektives Gedächtnis, und es gäbe Dirigenten wie Kent Nagano, die genau diese gut eingespielte, spezifische Eigenart hoch schätzten. Eine Zeit lang, so kann man sich vorstellen, kann das Orchester sicherlich ohne echten Chefdirigenten weiterleben. Aber was kommt dann? Fragen wie diese bestimmen ursächlich auch das Fortleben der Festspiele. Mit der Klangverwaltung als Residenzorchester ist man - auch finanziell - flexibler als mit Gastensembles, die dennoch als spezifische Klangfarben zu den Festspielen ursächlich dazugehören.

Und der Schatten liegt auch über der Kunst selbst. Wer im vergangenen Jahr Bachs Johannespassion im Frauenmünster gehört hat, wird dies nie vergessen. Es war Guttenberg, der einen Sturm der emotionalen Erkenntnis entfacht hatte, wie es nur er konnte. Natürlich kann man schon vom Werk her die Passion nicht mit den drei Kantaten und deren Wirkmächtigkeit vergleichen. Und Andrew Parrott dirigierte, nach anfänglichen Irritationen, auch sehr feinsinnig, der Mensch kennt sich aus mit alter Musik. Ja, so geht Bach, gehen Oper, Glaube und Erzählung, alles drin. Nur einer fehlt.

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Quelle:
SZ vom 19.07.2018
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