Süddeutsche Zeitung

Klassikkolumne:Neu auf CD

Friedrich Guldas großartige Einspielung von Debussys 24 Préludes ist wieder erschienen. Und Pablo Heras-Casado findet mit den Münchner Philharmonikern die Balance zwischen Melos und Rhythmus, die Béla Bartók auszeichnet.

Von Helmut Mauró

Schon Wochen vor Claude Debussys hundertjährigem Todestag am 25. März häufen sich die Veröffentlichungen und vor allem die Wiederveröffentlichungen, etwa mit dessen Klaviermusik. Darunter die bemerkenswerte Einspielung der 24 Préludes durch den genialischen Friedrich Gulda aus dem Jahr 1969 (MPS/Edel). Gulda begreift Debussy als harmonischen Wegbereiter des Jazz und nimmt dessen Musik dennoch so eigenständig ernst und so persönlich, wie er es immer tut. Man bekommt das Gefühl, der Pianist treibe sich selber in einen psychischen Ausnahmezustand - bewege sich noch über den des Komponisten hinaus.

Auch Béla Bartók fand jenseits der Atonalität seinen eigenen Weg in die Moderne. Er verfolgte eine besondere Harmonik, die oft von den Intervallstrukturen der Volksmusik seiner ungarischen Heimat und ihrer Nachbarländer geprägt ist. Wichtiger war ihm aber die rhythmische Dimension, die er ebenfalls aus volkstümlicher Musik ableitete. Stampfende Tänze und unregelmäßige, zumal innerhalb eines Stücks mehrmals wechselnde Taktarten, sind sein Markenzeichen. Im Gegensatz etwa zu Igor Strawinsky hat Bartók den Rhythmus aber nie als isolierte Größe gesehen, sondern immer in Verbindung mit dem verstanden, was Musik seit jeher ausmacht und immer ausmachen wird, wenn sie berühren soll: der Melodie, dem ganzen melodischen Raum - da steht er Strauss näher als Strawinsky. Der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado hat mit den Münchner Philharmonikern sowohl in Bartóks drittem Klavierkonzert, mit dem Solisten Javier Perianes, als auch im bekannteren Konzert für Orchester von 1943 (harmonia mundi), exakt die Balance gefunden, die Rhythmus und Melos gleichermaßen die Musik formen lassen und vorwärtstreiben - und oft genug auch spannungsgeladen innehalten oder lyrisch fließen lassen.

Vielleicht ist es ein bisschen kleinkariert, gleich mal nachzuschauen, welches Instrument der Cellist hier spielt. Aber der besonders warm-herbe Klang dieses Stradivari-Cellos sticht einem sofort ins Ohr. Dennoch, um es so wirken zu lassen, wie es hier in Franz Schuberts "Arpeggione-Sonate" zur Geltung kommt, muss auch ein Cellist dahinter stecken, der das rechte Gespür und die richtige Technik hat, dem vielgespielten Werk einen neuen, Interesse weckenden, besonderen Ton abzulocken. Kian Soltani, mit Aaron Pilsan als kongenialem Klavierpartner, entfaltet hierbei eine besondere Begabung und entwickelt eine rein musikalische Intensität, die nicht gleichzusetzen ist mit lautstarker Überrumpelung oder sentimentaler Nötigung. Das ist natürlich besonders für das viel geschundene Adagio von essenziellem Belang.

Man übertreibt kaum, wenn man hinter dem 1946 gegründeten Juilliard String Quartet die bekannteste Streichquartettformation des 20. Jahrhunderts vermutet. Die Folgefrage, ob es auch die beste war, die technisch versierteste, vor allem aber die musikalisch stärkste - diese Frage kann dank der Wiederveröffentlichung alter Aufnahmen nun jeder selbst überprüfen und muss nicht mehr jenen blind glauben, die das Quartett in der Blüte seines klanglichen Daseins noch selbst erlebt haben, zumal in seiner ursprünglichen Besetzung - seit 1997 ist kein Gründungsmitglied mehr dabei. Mehr als 100 Platten nahmen die Juilliards auf, elf davon aus dem Jahrzehnt 1956 bis 1966 sind hier zu hören. Wenn man sich an den im Vergleich zu heute weniger euphorischen, aber auch weniger aggressiven Quartettklang der Fünfzigerjahre gewöhnt hat, wird einem schnell klar, welche besondere Strahlkraft diese kammermusikalische Sonderform haben kann. Für die Komponisten der Wiener Klassik war das Streichquartett die Idealform, die Reinform des vierstimmigen Satzes, der die Grundlage der klassischen Musik ist. Obwohl hier die berühmtesten Stücke fehlen - Beethovens op. 130 oder Schuberts d-Moll-Quartett etwa -, findet man in Joseph Haydns op. 54, Mozarts "Haydn-Quartetten", Schuberts G-Dur-Quartett und Beethovens Rasumowsky-Quartetten genug dessen, was die Musiker des Juilliard-Quartetts als Ensembleklang und Gemeinschaftsgeist ausmacht: die Ruhe und Kraft traditioneller Klangästhetik und tiefes musikalisches Verständnis, verbunden mit nimmermüder Aufbruchstimmung. Dieser grundamerikanische Optimismus als Geisteshaltung, der einem mitunter auch auf die Nerven gehen kann, ist hier wunderbar kultiviert als panreligiöses Hoffnungsgefühl. Damit kann man Schubert und Haydn sehr nahekommen. Mozart sowieso.

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SZ vom 06.02.2018
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