Süddeutsche Zeitung

Klassikkolumne:Naturbeobachtungen

Vermutlich sind Streichinstrumente rein von den Zahlen her im Klassikmarkt führend. Zumindest gilt das für diese CD-Kolumne, die Streichermusik von Mozart über Janson bis hin zu Schulhoff vorstellt.

Von Harald Eggebrecht

Er wurde auf seinen Reisen durch Deutschland, Dänemark, Schweden oder Polen für seinen ausnehmend schönen Ton gerühmt, der französische Cellist Jean-Baptiste Janson, 1742 in Valenciennes geboren und 1803 in Paris gestorben. Janson ist einer der bedeutendsten Vertreter der großen französischen Cellotradition, die mit Jansons Lehrer Martin Berteau ihren gloriosen Anfang nahm. Janson hat unter anderem Cellosonaten und sechs Konzerte hinterlassen, an denen man den enormen kompositorischen und virtuosen Standard dieses Meisters ermessen kann. Sein D-Dur-Konzert ist geistreich, so elegant wie hochvirtuos, das als erster der legendäre János Starker entdeckt hat. Nun hat es Valentin Radutiu mit dem vorzüglichen Württembergischen Kammerorchester unter Ruben Gazarian so lustvoll, leichtfüßig und mit seinem unverwechselbar eigenen, "schönen" Ton eingespielt, dass eigentlich jeder Cellist gierig auf Janson-Werke werden müsste. Allein wie Radutiu das Adagio aussingt, bezwingt. Dabei spielt er mit jener klugen Zucht, die sentimentale Nachgiebigkeit meidet. Das Finale bietet Witz, rhythmische Finesse und Celloglanz. Doch auch eins der Kernstücke des Repertoires, das schwierige D-Dur-Konzert Joseph Haydns vermag Radutiu mit dieser inspirierenden Mischung aus cellistischer Bravour, rhythmischer Gespanntheit und gewinnender Tonschönheit darzustellen. Dazu bestechen die Kadenzen von Tobias PM Schneid, weil Radutiu sie mit draufgängerischer Verve verlebendigt. (hänssler classic)

Neuere Musik aus Großbritannien fristet im deutschen Konzertalltag ein kümmerliches Dasein trotz Edward Elgar und Benjamin Britten. Nun hat sich das seit 20 Jahren existierende Kölner Streichsextett daran gemacht und drei britische Sextette aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erstmals überhaupt aufgenommen und zwar so ausdrucksüberzeugend, dass man sich fragt, wieso diese originellen, mal träumerischen, manchmal Music-Hall-mäßig aufdrehenden und tänzerischen Stücke von Frank Bridge (1879 - 1941), Gustav Holst (1874 - 1934) und Joseph Holbrooke (1878 - 1958) erst ausgegraben werden mussten. Sie würden jedem Kammermusikkonzert von Rang zur Ehre gereichen. Bridges Stück entfaltet einen Hauch Brahms'scher Landschaftlichkeit, bleibt aber ganz bei sich selbst, einer Welt reicher Klanglichkeit des Sanften und Entspannten. Holsts Scherzo zeigt Energie und Walzerschwung, während Holbrookes Werk Melancholie, Dramatik und harmonische Aufrauung kennt. (WDR)

Wenn jemand wie Wolfgang Amadé Mozart Fragmente hinterlässt, dann juckt es die Nachfolgenden, dergleichen kostbare Torsi zu vollenden. Doch überzeugen kann dabei letztlich niemand, wie etwa Franz Xaver Süßmayrs Requiem-Ergänzungen zeigen. Auch Mozarts Freund Abbé Max Stadler hat sich wacker daran gemacht und drei Fragmente für Klaviertrio "vollendet", die sogar eine Köchelverzeichnisnummer tragen: 442. Doch die drei Fragmente entstanden zu verschiedenen Zeiten und hatten nichts miteinander zu tun. Der amerikanische Musikologe und Pianist Robert Levin hat nun seine Ergänzungen eingespielt zusammen mit der großen Hilary Hahn und dem Cellisten Alain Meunier. Levin geht nicht so naiv wie Stadler vor, dennoch bleibt auch bei seiner Arbeit das Unauflösbare des Mozart'schen Geheimnisses übrig. Allerdings bieten die drei einen ausgesprochen vitalen, kernigen Mozart, wie das berühmte Trio KV 496 zeigt. Nichts wird verzärtelt oder versüßlicht, alles "spricht" in klarer Deutlichkeit. (Pias)

Das tschechische Bennewitz-Quartett ist eine der besten Formationen der Zeit. Es hat sich jener Musiker angenommen, die der Ermordung durch die Nazis zum Opfer fielen. Ihre Werke werden erst langsam in ihrer Bedeutung und Qualität entdeckt und endlich auch gespielt. Drei steckten in jenem Zug, der sie 1944 von Theresienstadt in die Vernichtung nach Auschwitz transportierte: Viktor Ullmann, 1898 geboren, Hans Krása und Pavel Haas, beide 1899 geboren. Der vierte, Erwin Schulhoff, Jahrgang 1894, kam 1942 im Lager auf der Wülzburg ums Leben. Die "Bennewitz"-Leute finden den je spezifischen Ton der Vier imponierend: Ullmanns 3. Quartett, 1943 in Theresienstadt geschrieben, entfalten sie als Stück ruhe- und schwereloser Wehmut; Schulhoffs fünf Stücke von 1923 kosten sie brillant in aller Tanzraffinesse aus; Krásas Variationen von 1935/36 zucken ironisch und grotesk; Haas' 2. Quartett von 1925 leuchtet und blitzt von Naturbeobachtungen. (supraphon)

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SZ vom 09.07.2019
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