Klassikkolumne:Große Träumer

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Musik für den König und seine Geliebte, der Schlaf der Zauberin und der letzte Trobador: Das sind die Klassik-CDs der Woche.

Von Reinhard J Brembeck

Christophe Rousset ist vor allem in Frankreich unermüdlich als Cembalist und Ensembleleiter tätig, er liebt den französischen Barock. Sein neuestes Album aber ist außergewöhnlich, zeigt es den 60-jährigen Rousset jetzt erstmals völlig gelöst und fantasierend am Cembalo, französisch: clavecin. Rousset verbindet das Schwebende der französischen Tradition bruchlos und elegant mit Klarheit und Rhythmik. Das bezaubert. Da hilft das von ihm gespielte Cembalo viel mit, ein 1704 von Nicolas Dumont gebautes Instrument, das hinreißend hell singt, über lang nachhaltende Bässe verfügt und nichts Hartes zeigt, nichts Grelles. Rousset spielt Le manuscrit de Madame Théobin, er hat das bis dato unbekannte Originalmanuskript vor 20 Jahren bei Ebay erworben. Es enthält 80 Nummern, darunter viele Arrangements aus den Opern von Jean-Baptiste Lully, dem Begründer der französischen Oper, der von König Louis XIV. auch wegen seiner Vorliebe für den Tanz angehimmelt wurde. Madame Théobin war ein paar Jahre lang eine Geliebte dieses Königs, und der Hörer stellt sich vor, wie sie ihr Clavecin-Buch aufschlägt und den vom Regieren müden König mit Lullys "Sommeil d'Armide" von der Ödnis der Politik hin zu den Schönheiten des Lebens ablenkt (Astaré).

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Sommeil d'Armide meint den Schlaf der Zauberin Armida, Torquato Tasso hat deren Kreuzzugabenteuer beschrieben. Frédéric Chopin war wie vor ihm Lully ein Zuwanderer in Paris, der eine kam aus Polen, der andere aus Italien, Musikrevolution gemacht haben beide. Chopins Schlafmusiken heißen Nocturnes, 21 gelten als gesichert original. Der Tonfall ist bei Chopin nicht viel anders als bei Lully: melancholisch träumerisch und dennoch hellwach. Besonders schön kommt das bei Alain Planès heraus, der diese Musik auf einem Instrument der Chopin-Zeit spielt, das in der parisberühmten Klavierfabrik Pleyel 1836 gebaut wurde. Das ist ein besonders großer Flügel, ein "Modèle puissant", kräftig, mächtig, stark meint das. Aber der Pleyel wirkt im Vergleich zum modernen Flügel eher zart, sonor, elegant. So wie ihn dann auch Alain Planès spielt. Nicht zu vergessen, die vielen Klangfarben, gerade im Mürben, Dunklen, Angezögerten (harmonia mundi).

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Die Karriere des Komponisten Walter Zimmermann verläuft atemberaubend von Deutschland in die Niederlande, die USA, wieder nach Deutschland, dann Italien und zuletzt Berlin. Aber weder der Musik noch der Persönlichkeit dieses Künstlers eignet etwas Lautes oder Gehetztes. Er ist ein Leiser, ein der Welt abhanden Gekommener, der Letzte der Trobadors, die im südfranzösischen Mittelalter mit raffiniert ausgetüftelten Stücken an den Höfen reüssierten. So auch in Voces, einem Drei-CD-Album, das so gut wie alle Lieder Zimmermanns aus den letzten 30 Jahren versammelt. Lieder im gängigen Sinn sind am ehesten noch die live mitgeschnittenen "Schalkhäusser-Lieder". Der Komponist singt diese Petitessen zwischen Nonsens, Pop-Parodie, Weltverlust, Nachdenklichkeit. Doch in dem in zwei Fassungen vorgestellten "Dialogue des deux Roses" für Sängersolisten auf einen Text des eigenwilligen Edmond Jabès wird Zimmermanns Eigenwilligkeit überdeutlich: Wenige und oft karge Motive formieren eine Musik, die in kleinen Atemeinheiten nachdenklich voranschreitet. Zimmermanns Innerlichkeit ist keine verschwurbelt romantische, sondern eine ruhige Ausstellung von Klarheit, Zurücknahme, Ausmergelung. Das zielt ganz tief, auf einen ruhig verspielten Ernst, der tröstlich ist ohne jede Spur von Sentimentalität (Mode).

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Ein großer Träumer ist, schon sein außergewöhnlicher Name suggeriert das, auch der Geiger Théotime Langlois de Swarte. Der spielt und kann alles vom Barock bis zu Uraufführungen. Auf seinem neuesten Album mit Barockkonzerten beweist er sich als verträumter Paganini, bei Antonio Vivaldi, Jean-Marie Leclair und Pietro Locatelli. Deren Konzerte, Vivaldis "Vier Jahreszeiten" ausgenommen, sind ja fest in der Hand von Spezialisten, die aber so gut wie nie die Faszination dieser Stücke im Heute als geniale Musik beglaubigen können. Genau das kann Théotime Langlois de Swarte. Er ist ein zarter Romantiker, ein charmanter Intellektueller, ein Virtuose ohne Allüren. Zusammen mit dem Ensemble Les Ombres lässt er seine Hörer schnell vergessen, dass hier Barockmusik gespielt wird. Alles federt, duftet, tanzt, singt, freudet. Kein Pathos, keine Drücker und keine Behauptungen stören den Fluss der Musik, die immer voll kleiner Sensationen steckt. So überrascht jeder der 80 Minuten dieser CD, die Bekenntnis ist zu einer strahlenden, humanen Zukunft (harmonia mundi).

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