Süddeutsche Zeitung

Klassikkolumne:Kein Impressionist

Orchestermusik von C. Debussy, dirigiert von Pablo Heras-Casado. Und Klaviermusik von R. Schumann mit Martin Ivanov; dazu Symphonisches von Schubert und Luciano Berio.

Von Julia Spinola

Bis heute hält sich die Einschätzung, Claude Debussy sei ein Impressionist, dabei hat er sich vehement dagegen verwahrt. Denn mit vager Stimmungsmalerei hat Debussys Musik nicht das Geringste zu tun. Debussys Entdeckung der strukturbildenden Kraft der Klangfarbe führte ihn zur Erfindung konstruktiver, zugleich völlig unschematischer Formen. Zeitlebens empfand er Musik als eine "geheimnisvolle Mathematik, deren Elemente am Unendlichen teilhaben". Zu den im Jubiläumsjahr erschienenen Einspielungen, die Debussy als brillanten Klang- und Formkünstler zu seinem Recht kommen lassen, zählt auch die neue Aufnahme des spanischen Dirigenten Pablo Heras-Casado mit dem Philharmonia Orchestra London. Neben den bekannten Orchesterwerken "La Mer" und "Prélude à l'après-midi d'un faune", die das orchestrale Geflecht kristallin und hyperpräzise auffächern, ist das selten gespielte "Le Martyre de Saint Sébastian" eine Entdeckung. Als fünf Stunden dauerndes, hybrides Monumentalwerk aus Ballett, Oper, Oratorium und Sprechtheater mit einem Text von Gabriele D'Annunzio hatte das Stück bei der Uraufführung 1911 einen Skandal ausgelöst. Die Darstellung des heiligen Sebastian durch die Tänzerin Ida Rubinstein provozierte den Erzbischof von Paris dazu, ein sofortiges Besuchsverbot zu verhängen. Die hier eingespielten "Fragments symphonique" stellen die symphonische Essenz des Werks dar, dessen klangliches Raffinement und dessen eindringlichen Ausdruck Heras-Casado in größter Transparenz zur Geltung bringt. (harmonia mundi)

Geisteshelle und Klarheit sucht auch der israelische Pianist Matan Porat auf seiner neuen CD "Lux", die sehr verschiedene Werke rund um das Thema Licht versammelt. Porat, der bei Murray Perahia und Maria João Pires studierte, ist nicht zufällig auch Komponist: ein kluger Musiker, der den Werken auf den Grund gehen möchte, ohne dabei in schwerblütige Grübelei zu verfallen. Schon auf der ersten CD "Variationen über ein Thema von Scarlatti" suchte er nach einer thematischen Verbindung von zeitlich weit auseinanderliegenden Werken. Die auf- und untergehende Sonne liefert nun den assoziativen Faden, der von einer gregorianischen Melodie, über den ersten Satz aus Schumanns Gesängen der Frühe und Debussys "La Cathédrale engloutie" zum 3. Satz aus Beethovens Klaviersonate Nr. 21 führt und über Musik von Matthias Pintscher, Alexander Scriabin, Thomas Adés, Franz Liszt und Béla Bartók weitergesponnen wird bis hin zum Mondschein in Beethovens Sonate Nr. 14. Wir haben es also mit einer Art Potpourri zu tun, das musikalisch durchaus anregend ist, wenngleich die Ausdrucks- und Temperamentsunterschiede zwischen den Werken zugunsten ihrer Verknüpfbarkeit ein wenig eingeebnet wirken. (Mirare)

Tiefgreifender, ohne in Pathos abzugleiten, hochromantisch, aber ohne manierierte Mätzchen spielt der 1990 in Bulgarien geborene und bei Oleg Maisenberg in Wien ausgebildete Martin Ivanov Robert Schumanns Novelletten Op. 21 und Fantasiestücke Op. 12. Interpretationen, in denen jede Nuance sitzt und nichts aufgesetzt erscheint. Ivanov widersteht der Versuchung, die Stücke vordergründiger Exzentrik zu opfern, wozu Schumanns gegensätzliche Fantasiecharaktere Florestan und Eusebius schon manchen Kollegen verleitet haben. Seine im besten Sinne durchdachten und durchgearbeiteten Interpretationen verbinden eine fabelhafte Technik mit einem satten, farbigen Klavierklang, Virtuosität mit einer tief empfundenen Musikalität und der Kunst, auf dem Klavier zu singen. (Gramola)

Christoph König und die Solistes Européens Luxembourg stellen auf ihrer neuen CD Franz Schuberts "großer" C-Dur Symphonie Luciano Berios "Rendering" nach Schuberts spätem symphonischen Fragment D936a an die Seite. Berio hat das Particell zu einer nie vollendeten 10. Symphonie Schuberts mit Bezug auf die berühmte "Unvollendete" orchestriert. Besonders spannend an der "Ricompositione" sind die neu komponierten Passagen zwischen den originalen Schubert-Abschnitten, die klingen, als würden wir Schubert wie aus dem Traum, wie aus der fragmentierten Erinnerungsperspektive wahrnehmen. Der zweite Satz scheint bereits vorauszublicken auf Gustav Mahler. Im Finalsatz hat Berio auch noch eine Kontrapunktübung mit einfließen lassen, die Schubert auf seinen Symphonie-Skizzen notiert hatte. Die große C-Dur-Symphonie dirigiert König insgesamt in recht raschen Tempi, mit Mendelssohnscher Leichtigkeit und Esprit. (Rubicon)

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SZ vom 24.07.2018
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