Klassikkolumne:Frische Luft der Freiheit

Vier in einem Jahrhundert entstandene Stücke auf vier verschiedenen Klavieren. Dazu: Französische Musik von Balbastre und DDR-Musik von Hanns Eisler.

Von Reinhard Brembeck

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In Kennerkreisen gilt es als ausgemacht, dass Kompositionen für Genießer immer auf jenen Instrumenten am besten klingen, für die ihre Urheber sie geschrieben haben, die sie also genau kannten und selber spielten. Allerdings macht so gut wie kein Interpret wirklich Ernst mit dieser Einsicht. Bis auf Alexander Melnikov. Der 1973 in Moskau geborene Pianist ist ein Eigenwilliger der Sonderklasse, zutiefst durch die Begegnung mit dem Sonderling Svjatoslav Richter geprägt, später dann auch durch den Cembalisten und Hammerklavierspieler Andreas Staier. Mit dem Ergebnis, dass Melnikov auf seiner neuesten Platte vier innerhalb eines Jahrhunderts entstandene Stücke auf vier verschiedenen Klavieren spielt: Schuberts Wanderer-Fantasie auf einem Alois-Graff-Klavier (um 1830), Chopins Etüden op. 10 auf einem Érard von 1837, Franz Liszts "Don-Juan-Reminiszenzen" auf einem Bösendorfer von 1875 und Strawinskys "Pétrouchka" auf einem modernen Steinway. Allein schon deshalb klingt jedes dieser Virtuosenstücke anders. Melnikov erzählt drängend, luzid und immer klar, er betont, dass Komponieren nicht nur ein "Arbeiten des Geistes im geistfähigen Material" (Eduard Hanslick) ist, sondern ganz entscheidend von den materiellen Voraussetzungen der Instrumente abhängt. (harmonia mundi)

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Französische Musik ist in Deutschland nie wirklich populär geworden, weil sie immer distanziert bleibt und sich nie rückhaltlos expressiv an den Hörer heranmacht. Eine Ausnahme von dieser Regel ist Georges Bizets "Carmen", die sich auf eine Entwicklung berufen kann, welche bis zu dem Opernkomponisten Jean-Philippe Rameau zurückgeht. Der Cembalist Philippe Grisvard und der Geiger Johannes Pramsohler haben sich jetzt auf den Rameau-Zeitgenossen Jean-Joseph Cassanéa de Mondonville konzentriert, dessen Cembalo-Geigen-Sonaten 1740 Furore machten, weil sie endlich eine echte Partnerschaft anstrebten, kräftig zupackend und visionär (Audax Records).

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Auch Claude-Bénigne Balbastre war von dieser auf Partnerschaft gerichteten Neuerung begeistert, doch seine größten Stärken entwickelte der bald am Königshof beschäftigte Musiker als Orgel- und Cembalokomponist. Christophe Rousset, seit Jahrzehnten unermüdlich mit der Wiederentdeckung französischer Barockmusik beschäftigt, hat nun Balbastres erstes Cembalobuch eingespielt, das im Jahr 1759 erschienen ist. Es ist eine von Roussets schönsten und mitreißendsten Aufnahmen. Liegt es daran, dass hier ein Komponist nach und nach den strengen Gebräuchen des Barock entwächst, dass er die frische Luft der Freiheit spürt, die im Vorfeld der Französischen Revolution langsam in alle Bereiche des öffentlichen Lebens vordringt? (Aparte)

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Vor ein paar Jahren entdeckte der Musikforscher Thomas Leconte ein Requiem, das ein unbekannter Komponist aus zwei Opern Rameaus zusammengebastelt hatte, aus "Castor et Pollux" sowie "Paphos". Raphaël Pichon hat diese Trouvaille jetzt mit seinem Ensemble Pygmalion aufgenommen. Weil Pichon aber der extrovertierteste und originellste unter den jungen Alte-Musik-Dirigenten ist, hat er das Stück mit Höllenszenen von Rameau und Christoph Willibald Gluck ergänzt, hat Jean-Féry Rebels "Chaos" dazwischen gemischt und reizt das Wechselspiel zwischen weltlich und geistlich bis zum Anschlag aus. Genauso wie Stéphane Degout, derzeit der beste Bariton Frankreichs, der sich wenig um stilistische Einengungen schert, sondern hemmungslos diese Musik aufputscht. (harmonia mundi)

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Der Leipziger Jude Hanns Eisler (1898-1962) ist die schillerndste Komponistenfigur des 20. Jahrhunderts: Schüler von Arnold Schönberg, später hat er immer wieder mit Bert Brecht gearbeitet und die Nationalhymne der DDR komponiert: "Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt". Die meisten Klassiksänger machen um Eisler einen großen Bogen. Nicht so Holger Falk, der jetzt zusammen mit Pianist Steffen Schleiermacher das zweite seiner vier Eisler-Alben vorgelegt hat. Da findet sich auch die DDR-Hymne, gleich nach der "Kinderhymne". Holger Falk singt alles ohne Pathos, verhalten und mit einem chansonhaften Gestus, der bei klassisch ausgebildeten Sängern so gut wie nie anzutreffen ist. Der in neuer Musik erfahrene Falk aber kann auch das perfekt. (MDG)

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