Golaud ist ein Mörder, aber wie er da seine sterbende Frau - Mélisande ist eines seiner Opfer - ansingt, das ist schmerzlich schön. Die tiefe und dunkle Stimme von Alexandre Duhamel geht zärtlich und fast tonlos in die Höhe, mischt Selbstmitleid mit tiefer Empfindung: Dieser Moment gehört zu den großen Opernszenen, dankenswerterweise in einer Neuaufnahme eingefangen. Der Dirigent von Claude Debussys "Pelléas et Mélisande" heißt François-Xavier Roth, der Mann ist einer der ganz großen und eigenwilligen Musiker. Er leitet die Oper in Köln, aber mit seiner Truppe "Les Siècles" auch noch ein Ensemble, das auf den Instrumenten der Entstehungszeit der jeweiligen Stücke spielt. Beim "Pelléas" sind viele der verwendeten Instrumente um 1900 gebaut worden, Darmsaiten verstehen sich von selber. Das Instrumentarium hilft bei der Annäherung an diese schwebend todesnahe Musik, der Roth zudem eine brüchig dunkle Klanglichkeit zukommen lässt, die er lebendig bis hochdramatisch aufputscht. Das Orchester "Les siècles" ist dabei so präsent wie die Sänger, es agiert als Todesbote in diesem zivilisationsmüden Totentanz. (harmonia mundi)

Jazz, Rhythmus und Folklore sind für Maurice Ravel oft unverzichtbare Ingredienzen, auch für seine beiden so unterschiedlichen, aber gleichzeitig komponierten Klavierkonzerte, einen lichten Dreisätzer, sowie einen sich aus Richard Wagners dunklen "Ring"-Untiefen herausschraubenden Einsätzer mit einem Wildtanz in der Mitte; der Pianist darf sich bei diesem Spuk nur der linken Hand bedienen, was dennoch eine aberwitzige Virtuosität zulässt. Wieder dirigiert François-Xavier Roth sein wunderbares "Les Siècles"-Ensemble, es scheint, als würde hier Klang die verlockenden Gerüchen einer warmen Mittelmeernacht evozieren. Pianist Cédric Tiberghien harmoniert völlig mit dieser Auffassung, er ist präsent, ohne zu dominieren. Beide Konzerte sind zusammen nur 40 Minuten lang, da passt also noch anderes auf die CD. Stéphane Degout liefert singend Kontraste, Lieder von Ravel, Don Quixotes Liebesgesänge an seine Dulcinée, aber auch Gedichte von Stéphane Mallarmé. Alles schwebt, alles ist Zärtlichkeit und Verlockung. (harmonia mundi)

"Ich bin ein Vogel des Paradieses", dichtete vor 800 Jahren der Mystiker Rumi, "ich gehöre nicht zum irdischen Reich, obwohl ein paar Tage gefangen in Fleisch und Knochen." Rumi floh vor den angreifenden Mongolen aus dem heimischen Chorasan im Osten Persiens erst nach Damaskus, dann ins zentralanatolische Konya, er war ein beliebter Lehrer. Die ihn existentiell erschütternde Begegnung mit dem Derwisch Shams-e Tabrizi machte ihn zu einem der ganz großen Mystiker, vergleichbar mit Hafiz, Juan de la Cruz, Teresa von Ávila oder Ibn Arabî. Bei dem lernte Rumi in Damaskus, er kannte dessen legendären "Übersetzer der Sehnsüchte", einen kleinen Lyrikzyklus, der vermittels der Liebe eine mystische Gotteserfahrung umschreibt. Daran knüpft Rumi an mit seinen gut 100 000, meist durch den Derwisch Schams-e inspirierten Versen in Persisch und manchmal Arabisch. Kiya Tabassian ist als Teenager von Persien nach Quebec gekommen, er spielt die dreisaitige Laute Setar und hat eine Handvoll von Rumis Gedichten vertont und zusammen mit der Sängerin Ghalia Benali aufgenommen. Bei Benali leuchtet allein schon der Wortklang der Verse traumhaft lockend. Tabassian mit seinem Ensemble "Constantinople" liefert dazu eine moderne, aber ganz in der persischen Musiktradition stehende mystische Klangsprache, die Rumi unangestrengt als Paradiesvogel beglaubigt. ("In the Footsteps of Rumi", Glossa)

"Der Freischütz" von Carl Maria Weber besticht durch Ohrwürmer und beunruhigt zugleich, weil es hier mehr als in den meisten anderen Opern um einen gesellschaftlichen Umbruch geht, um die Frage, wie das Leben besser gestaltet werden kann. Also vermischt das Stück das Ewigböse mit Unschuld, Gläubigkeit mit Aberglaube, Karrieredenken mit Humanität. Damit ist klar, dass die neue Gesellschaftsordnung im Finale auch wieder Zweifel und Fragen aufwirft: Die ideale Gesellschaft wird die Menschheit nie erleben. Der Dirigent und Ex-Countertenor René Jacobs spitzt diesen Kampf um eine bessere Gesellschaft in seiner grandiosen, als Hörspiel angelegten Neuaufnahme noch zu, er hat die von Weber nicht vertonte Eingangsszene mithilfe von "Freischütz"-Motiven nachkomponiert. Dadurch wird das christlich-gute Element verstärkt und die Dramatik und der Unruhefaktor des Stücks erhöht. Bei Jacobs findet im "Freischütz" von Anfang an ein Kampf Gut gegen Böse statt, der bis zuletzt unentschieden bleibt, der Schlussjubel ist hier zum Teil nur Behauptung und nicht echter Sieg. (harmonia mundi)
