Klassikkolumne:Flexibilität der Musik

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Sechs Choralkantaten von Bach mit dem Chorus Musicus Köln; und Christian Gerhaher grandios mit Liedern von Robert Schumann. Außerdem die vertonte Märchenparabel "Vom Fischer und syner Fru" der Grimms von Othmar Schmoeck.

Von Wolfgang Schreiber

Mit der Flexibilisierung der Wirtschaft betritt der Mensch, heißt es, das Land des "neuen mobilen Zeitalters". Nur, dort war die Musik schon immer zu Hause, denn mit Statik, Unbeweglichkeit hatte die hyperflexible Augenblickskunst noch nie etwas zu tun. Der Klang fließt im Hier und Jetzt, fixiert sind allenfalls die Noten und der Schall auf den Scheiben.

Und feststeht auch für ewig das Datum des hohen Christ- und Konsumfestes, das sich nähert und Plattenproduktionen vorausschickt. J. S. Bach hat mit seinen über 200 Kantaten allerdings das ganze Kirchenjahr vertont. Just für den 26. November vor 294 Jahren komponierte er glaubensfest und heiteren Sinnes den Titel "Du Friedefürst, Herr Jesu Christ". Christoph Spering, eine Handvoll Solisten und sein Chorus Musicus Köln haben das "historisch informiert" und beschwingt aufgenommen. Sechs Choralkantaten von 1724/25 sind versammelt, Bach hat für sie je ein Kirchenlied genommen, um mit bizarren Rezitativen und innigen Arien Glaube und Kunst vollendet triumphieren zu lassen. Eternity - da darf "O Ewigkeit, du Donnerwort" nicht fehlen (deutsche harmonia mundi/Sony).

Bachs mitteldeutsche Heimat hat bis heute musikalische Strahlkraft, und der kann sich Cantus Thuringia gern bedienen. Fünf Vokalisten und ein Instrumentaltrio unter Christoph Dittmar musizieren elastisch Englands variantenreiche Kunstmusik des 16. und 17. Jahrhunderts, in einem flott komponierten Programm aus Liedern von Melancholie und Weltschmerz, Trauer und Abschied bei den Großmeistern Thomas Tallis und Henry Purcell. Instrumentale Zwischenspiele streuen allerlei Kontraste. John Dowlands Gesang "Time stand still" heißt das Fanal, das die raffinierten Vokalkünste in Zeiten der Renaissance und des Barock für unsere Gegenwart aktiviert (deutsche harmonia mundi/Sony).

Ein Kontinent der Liedkunst ist zu besichtigen - die zyklische Gesamtaufnahme aller Kunstlieder Robert Schumanns. Der außerordentliche, mit seinem Gesang berührende Christian Gerhaher macht sich auf die Reise. Der Titel "Frage" steht über dem kurzen Lied aus dem Zyklus der zwölf Gedichte Justinus Kerners op. 35. Sogar in seinem profunden Begleittext macht Gerhaher musikalisch Existentielles ausfindig, zeigt, wie sehr es Schumann hierbei "um eine Kontrastierung der verlorenen ... Natur mit dem allverheerenden Menschentum geht". Er trägt all die Romanzen, Balladen, Traumgesänge grandios sinnfällig vor, Gerhahers Kunst deckt die Bedeutungsschichten in Text, Gesang und Charakter auf - ganz am Ende mit dem abgründigen Heine-Lied aus dem Opus 142 "Mein Wagen rollet langsam", in Schumanns späten erschütternden Klangseufzern, die Gerold Huber am Klavier kongenial zutage fördert (Sony).

Kaum Weihnachtswärme bietet die Dramatische Kantate nach Grimms Märchenparabel Vom Fischer un syner Fru, die der Schweizer Othmar Schoeck 1930 für drei Solostimmen und Orchester komponiert hat. Fritz Busch dirigierte einst in Dresden die Uraufführung des halbstündigen Stücks. Wie der aus dem Meer gefangene Butt heimtückisch die raffgierige "Frau" mit allen von ihr herrisch verlangten Besitztümern und ranghöchsten Ämtern dieser Erde eindeckt, doch ihre Maßlosigkeit am Ende grausam bestraft, wie ihr "Mann" die Katastrophe der Gier ahnt, davon singen Rachel Harnisch, Jörg Dürrmüller und Jordan Shanahan mit luzider Kraft. Dirigent Mario Venzago steigt mit dem Musikkollegium Winterthur lyrisch stabil ein in Schoecks vor Dämonie vibrierende Partitur (Claves).

Ebenfalls in der Schweiz wurde das Problemdrama Fidelio verhandelt, Ludwig van Beethovens Befreiungsoper auf der Bühne von St. Gallen. Der Film auf DVD zeigt, wie das immer heikle Stück abseits der Staatshäuser von Wien, London, New York oder München selbst von einem mittleren Stadttheaterensemble, Otto Tausk dirigiert, dramatisch ausmusiziert wird. Und wie Beethovens Freiheitsheldin Leonore, frei nach Ernst Blochs "Geist der Utopie" von Regisseur Jan Schmidt-Garre konzipiert, auf leer geräumter finsterer Bühne als ein flammendes Monument, gesungen von der Sopranistin Jacquelyn Wagner an der Spitze eines spiel- und ausdrucksfreudigen Ensembles, Gang und Geist der bestürzenden Handlung bestimmen kann (EuroArts).

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