Marcel Prousts großer Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" steckt voller Reminiszenzen und Anspielungen auf die Musik der Pariser Salons des Fin de Siècle. Shani Diluka, französische Pianistin sri-lankischer Herkunft, taucht auf "The Proust Album" (Warner Classics) mit großer assoziativer Freiheit in diese Welt ein. Den Anfang macht das - freilich erst acht Jahre nach Prousts Tod geschriebene - selten gespielte E-Dur-Klavierkonzert von Reynaldo Hahn, dem langjährigen Freund und Liebhaber des Schriftstellers. Mit dem Orchestre de chambre de Paris unter Hervé Niquet präsentiert Diluka diese Musik als eine Wundertüte traumgleich verbundener Stimmungen, virtuoser Launen und Klangreize.
Der Weg in den imaginierten Proust'schen Kosmos führt über Stücke von Jules Massenet, César Franck und Debussy bis zu Strauss und Wagner. Natalie Dessays ätherischer Sopran und der flötengleich singende Ton des Geigers Pierre Fouchenneret fügen sich ideal in Dilukas Konzept einer intimen Schönheit des Spiels, die bei aller sublimen Verfeinerung nie ins Gefühlige abgleitet. In der berühmten Madeleine-Episode, die der Comédie-Française-Schauspieler Guillaume Gallienne wunderbar melodiös über die Klänge von Hahns Klavierstück "Rêveries du Prince Églantine" liest, kann man sich verlieren.
Es handle sich eigentlich um Bartóks "siebtes Streichquartett", scherzte der Komponist György Kurtág einmal über das 1953-54 komponierte 1. Quartett seines Landsmanns György Ligeti. Der 30-jährige Ligeti komponierte es noch vor seiner Flucht aus Ungarn 1956, in vollständiger Abgeschiedenheit von der westlichen Avantgarde. Das junge französische Quartett Quatuor Hanson macht jetzt in seinem kontrastreichen, plastischen Spiel die Traditionslinie hörbar, die von der folkloristisch inspirierten Musiksprache in Bartóks 2. Streichquartett zu Ligetis erstem, den "Métamorphoses nocturnes", führt. Einerseits. In rasch wechselnden Texturen, vorbeihuschenden Flageolettgespinsten und spukhaften Clair-Obscur-Effekten kündigen sich jedoch hier auch schon Elemente jener illusionistischen Klangflächenkomposition an, die Ligeti 1961 erstmals in seinem Orchesterwerk "Atmosphères" realisierte und damit zu seiner ureigenen Musiksprache fand. Bartóks zweites und Ligetis erstes Quartett kombiniert die CD unter dem leicht bizarren Titel "Not all Cats are grey" (Aparté) mit Henri Dutilleux' "Ainsi la nuit" für Streichquartett. Das Quatuor Hanson lässt Dutilleux' Musik in kunstvoller Flüchtigkeit impressionistisch flirren und schweben und bietet so eine interessante Alternative zur jüngsten, etwas prägnanteren Einspielung des Quatuor Ébène.
Ein Zufallsfund in einem Pariser Antiquariat brachte die Musiker des Mandelring Quartetts auf den französischen Komponisten und zeitweiligen Direktor des Pariser Konservatoriums Jean Rivier (1896 - 1987). Dessen umfangreiches Œuvre von mehr als 200 Werken - acht Sinfonien und eine Oper inklusive - ist hierzulande praktisch unbekannt. Dabei lohnen zumindest die beiden Streichquartette, die das Mandelring Quartett auf seinem neuen Album "Debussy & Jean Rivier" (Audite) vorstellt, die Entdeckung. Nummer eins, komponiert 1924 noch während Riviers kriegsbedingt verzögerter Studienzeit, steht zwar stilistisch unüberhörbar in der Tradition von Debussys gut zwanzig Jahre früher geschriebenem g-moll-Quartett, mit dem es auf der CD kombiniert wird. Es reicht aber mit seinem breiten Ausdrucksspektrum, seinem eigenständigen Ton und dem leidenschaftlichen Fluss der handwerklich ohnehin souverän entwickelten Form weit über ein akademisches Epigonentum hinaus. Völlig anders, schroffer, herber und dissonanzreicher, klingt das 1940 komponierte 2. Quartett, das der Mandelring-Cellist Bernhard Schmidt in der Pariser Nationalgalerie gefunden hat. Rivier scheint zu jenen ernsthaften, aber unauffälligen Künstlern jenseits allen Glamours und aller Moden gezählt zu haben, die vor lauter Bescheidenheit und Redlichkeit einfach vergessen wurden. In den Musikern des Mandelring Quartetts hat er passionierte Anwälte.
Der schweizerische Pianist Romain Nosbaum hatte Lust, Musik von Bach, Ravel und John Cage zu kombinieren. "Reflections" (Ars Production) hat er seine neue CD genannt, die bloß wegen der ungewöhnlichen Kombination noch lange kein Konzeptalbum ergibt. Gemeinsam sei den Werken - Bachs Partita VI in e-Moll, Ravels Klavierzyklus "Miroirs" und Cages Klavierstück "In a Landscape", das 1948 als Hommage an Erik Satie auf eine Choreografie von Louise Lippold komponiert wurde -, dass sie sich in jedem Menschen anders widerspiegeln, erklärt Nosbaum seine Idee. Ob und wie die Stücke nun tatsächlich unterschwellig miteinander kommunizieren oder einander kontrastieren, erscheint angesichts seiner kristallin-klaren, tief musikalischen Interpretationen völlig zweitrangig. Sie sprechen mit wohltuender Direktheit für sich.