Klassikkolumne:Bach für Marsmenschen

Wenn Musik technisch manipuliert wird, kann sich das ziemlich spacig anhören. Auf neuen CDs und DVDs hört man Friedrich Guldas Clavichord-Experimente, clubgerechten Elektronik-Debussy und sieht Schweizer Naturbilder zu Klavierstücken von Franz Liszt.

Von Michael Stallknecht

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CD und DVD in ein und derselben Hülle zu kombinieren, ist gerade ziemlich in Mode auf dem klassischen Plattenmarkt. Der Hörer/Zuschauer kann so selbst entscheiden, ob er sich nur über die Ohren in die Musik versenken oder sich wie im Konzert noch einen optischen Eindruck des Musikers abholen mag. Der Pianist Francesco Piemontesi hat sich für seine Neuaufnahme des ersten, der Schweiz gewidmeten Bands von Franz Liszts "Années de pèlerinage" ("Pilgerjahre") noch ein Extra einfallen lassen: Er hat den legendären Künstlerfilmer Bruno Monsaingeon eingeladen, für die DVD optische Eindrücke aus der Schweizer Natur beizusteuern. Schließlich ließ sich schon Liszt in romantischer Tradition von einer Mischung aus literarischen Quellen und den prächtigen Seen, Bergen und Gewittern des Landes zu seiner Reihe von Charakterstücken anregen. Piemontesi, der selbst aus der italienischen Schweiz stammt, spielt sie eher als verinnerlichte Seeleneindrücke denn als äußere Abbildungen, introvertiert und versonnen, mit lichtem Ton und trotz der virtuosen Schwierigkeiten in großer Natürlichkeit.(Orfeo)

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Eine Kombination aus ironisch gebrochenem Alpenländischen und neuester Technik bekommt man in ganz anderer Weise auch auf einer CD, die der Cellist Jakob Spahn gemeinsam mit der Orchesterakademie des Bayerischen Staatsorchesters aufgenommen hat (hänssler classic). Für die Technik ist das Münchner Immersive Audio Network mit seiner 3D-Aufnahmetechnik zuständig, das bei entsprechender heimischer Ausrüstung den Hörer mitten im Klang stehen lässt. Aber auch bescheidener ausgestattete Hörer dürften das hier neben anderen Werken eingespielte Cellokonzert Friedrich Guldas noch immer als innovativ empfinden. Das 1981 uraufgeführte Stück kommt als anarchistisch wildernde Mischung aus rockig angehauchtem Big Band Jazz, österreichischer Volksmusik, Renaissancetanz und Bierzeltmusik daher. Das Orchester ist fast nur mit Bläsern besetzt, für den Cellisten gibt es auch noch Raum zur Improvisation. Jakob Spahn spielt den virtuosen, anspruchsvollen Solopart mit ebenso viel Energie wie schlankem, immer wieder schön aufblühendem Ton.

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Friedrich Gulda selbst ist der Nachwelt vor allem als Pianist bekannt geblieben, begriff sich selbst aber als Grenzgänger zwischen Klassik und Jazz, Rock und in späten Jahren sogar noch dem Techno. Zudem experimentierte er gern mit einem Instrument, das seinen Höhepunkt bereits im Barock gehabt hatte: dem Clavichord. Für Auftritte mit dem eigentlich sehr leisen Instrument im Konzertsaal erfand er eine Verstärkung, zu Hause zeichnete er sich gelegentlich selbst auf Tonbändern auf. Ausschnitte dieser Bänder aus den Jahren 1978/79 hat nun das Label Berlin Classics nach einiger technischer Aufbereitung erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das klangliche Erlebnis schräg zu nennen, wäre eine deutliche Untertreibung. Gulda spielt hier einige Werke Johann Sebastian Bachs mit der ihm eigenen rhythmischen Geradlinigkeit und in teilweise so rasanten Tempi, dass der zuständige Tontechniker erst mal dachte, mit der Abspielgeschwindigkeit könne irgendwas nicht stimmen. Dazu setzt er gern den Vibratoeffekt des Instruments ein, der es teilweise wie eine E-Gitarre klingen lässt. In Verbindung mit dem alten Monosound klingt Bach hier so technoid abgespact, als habe ein begeisterter Marsmensch die terrestrische Musik des 18. Jahrhunderts für sich entdeckt.

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Solche Effekte kann man natürlich auch in der Gegenwart bewusst herstellen. Das klassische Klavier mit Elektronik zu verschmelzen, ist momentan in der Clubszene so angesagt, dass in Berlin unter dem Titel "Neue Meister" schon ein eigenes Label für solche und ähnliche Kombinationen entstanden ist. Den Beitrag der Pianistin Marina Baranova zum hundertsten Todestag Claude Debussys darf man als typisches Produkt des Hauses betrachten. Die Musikerin kombiniert das Klavier in präparierter wie unpräparierter Gestalt mit neueren Tasteninstrumenten wie dem Fender Rhodes oder dem Una Corda, digitale Verfremdungseffekte kommen dazu. Mit "Unfolding Debussy" "entfaltet" die Pianistin den französischen Komponisten, indem sie einzelne Motive aus bekannteren Klavierwerken rearrangiert und häufig in Loops schickt, teilweise auch dazu singt oder spricht. Das läuft auf eine elektronisch schwelgende Romantik hinaus, die den meisten Klassikhörern zu seicht sein dürfte. Im Club bei einem Bier gehört, könnte die Sache anders aussehen.

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