Süddeutsche Zeitung

Klassik:Was die Seele aushält

Zubin Mehta dirigiert Schönbergs "Gurre-Lieder" im Bayerischen Nationaltheater in München - und gewinnt der monströsen Partitur etwas Ungeahntes ab: Natürlichkeit. Es ist ein denkwürdiges Konzert: Mehta ist überglücklich.

Von Reinhard J. Brembeck

Zubin Mehta, dieser sonst so freundlich beherrschte Dirigent, ist zuletzt überglücklich und sichtbar gerührt - vom Beifall, vom Spiel der Musiker, vom Gesang. Er umarmt den Konzertmeister, also den Chef des Orchesters, er bedankt sich per Handschlag bei den Musikern in der vordersten Reihe, redet vergnügt mit den Bläsern, hebt dankend die Händen zu dem in Heerscharen angetretenen Chor. Und er dankt auch dem Münchner Publikum, das ihm im Bayerischen Nationaltheater schon gleich zu Beginn dieses denkwürdigen Konzertes einen jubelnden Empfang bereitet hat. Schließlich war Mehta, der Ende April 80 Jahre alt wird, acht Jahre lang der Musikchef dieses Hauses gewesen.

Nun ist er wieder einmal da und hat eine der monströsesten Partituren überhaupt im Gepäck. Arnold Schönbergs "Gurre-Lieder", benannt nach dem mittelalterlichen Herrschaftssitz Waldemars, erzählt von dessen unglücklicher Liebe zu Tove. Dazu brausen zehn Hörner, acht Trompeten und sieben Klarinetten, locken acht Flöten, zirpen vier Harfen: Schönbergs Orchestertableau ist noch ganz in der spätromantischen Tonalität gefangen, müht sich stellenweise arg mit dem Übervater Richard Wagner ab, kennt feinstes Waldweben genauso wie Jenseitsgeheul. Alles, was eine menschliche Seele zu empfinden und ein Orchester auszudrücken vermag, ist hier enthalten.

Das hat Dirigenten schon immer gereizt. Aber nur die größten schaffen es, diese zwei Stunden zu einer Einheit zu formen, die stimmig von Liebeserwartung über Todesverkündung und wilder Jagd bis zum Sonnenaufgangs- und Erlösungsjubel führt. Zubin Mehta gelingt dieses Kunststück mit wenigen Gesten und ohne alle Show. Er ist ein Dirigent alter Schule, der auf den Mischklang setzt und die Dominanz der Melodie, der jedes Detail ins große Ganze einordnet und sich nie in Abseitigkeiten verliert. Er ist auch ein Musiker, der den puren Schönklang zwar liebt, ihn aber nie überzüchtet.

Stephen Gould, der derzeitige Bayreuther Tristan, sind die Liebesschmerzen Waldemars

So gewinnt Mehta dieser so überaus artifiziellen Partitur etwas ab, was man ihr - wie Schönberg überhaupt - so gar nicht zutrauen würde: Natürlichkeit. Natürlich wirkt der Fluss der verschwurbelten Geigengirlanden, natürlich die oft gigantomanischen Steigerungen und Detonationen, natürlich die Narreteien, Geistervisionen, die Abgründe der Verzweiflung. Und das an diesem Abend zu Mirakeln aufgelegte Staatsorchester versetzt sich und das Publikum ins Elysium.

Da fällt es dann bald schon nicht mehr ins Gewicht, dass das Nationaltheater akustisch für Konzerte nur bedingt geeignet ist: Die vor dem eisernen Vorhang platzierten Streicher sind sehr viel präsenter als dahinter Bläser, Schlagwerk und Chor.

Stephen Gould, der derzeitige Bayreuther Tristan, singt die Liebesschmerzen und Verzweiflungen Waldemars. Obwohl er grundmusikalisch zu Werke geht, kann er eine leichte Indisposition nicht kaschieren, die ihn stimmlichen Glanz und einige Anstrengungen kostet. Auch Anne Schwanewilms als seine geliebte Tove kämpft eher, als dass sie sich verströmen würde. Sicherer schon gelingen Goran Jurić der Bauer und Gerhard Siegel das ungläubige Staunen des Narren. Während Schauspieler Klaus Maria Brandauer in einem verspielt blumigen Crescendo in den Morgenjubel des Chors überleitet. Am hinreißendsten aber ist Okka von der Damerau, die mit dunkel volltönender und ganz der Trauer ergebener Stimme Toves Tod vermeldet.

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SZ vom 17.02.2016
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