Süddeutsche Zeitung

Klassik:Vollkommen unvollendet

Die Kammeroper München spielt Mozarts "Requiem", ergänzt durch reflektierende Textpassagen

Von Klaus Kalchschmid

Der 24-stimmige exzellente Chor des Vocalconsort München und je zwei Bassethörner, Geigen und Celli, dazu neben Pauken solistisch Fagott, Bratsche und Kontrabass sowie - Akkordeon: Die Kammeroper München blieb ihrer Tradition treu und bot in der Allerheiligen Hofkirche unter Leitung von Nabil Shehata mit den jungen Solisten Anna Malesza, Irena Weber, Tianji Lin und Bavo Orroi eine berührende Aufführung des Mozart-Requiems. Gespielt wurde das mit den Ergänzungen seines Schülers Franz Xaver Süßmayr in der revidierten Fassung von Robert Levin aus dem Jahr 1991.

Die Reduktion auf elf Musiker ließ auf Umwegen den Fragment-Charakter wieder erahnen und das oft zur harmonischen Unterstützung eingesetzte Akkordeon hatte etwas vom Klang einer Truhenorgel, wirkte also stets eigen, aber nie wie ein Fremdkörper. Auch andere instrumentale Details verblüfften, so ein weiches, warmes Solo-Cello anstelle der heftig dreinfahrenden Tenor-Posaune zu Beginn des "Tuba Mirum" oder der zarte Solostreicher-Beginn des "Lacrimosa", das zuerst in der nach acht Takten abbrechenden Originalfassung und dann mit den Ergänzungen gespielt wurde. Dominik Wilgenbus hatte dazu, für den Beginn und für Übergänge zwischen einzelnen Sätzen Texte geschrieben, die Peter Fricke souverän und pointiert, aber nie zu theatralisch sprach. In dieser Erzählung kommt eine Art Doppelgänger oder bester Freund im Geiste zu Wort, der scheinbar keine materielle Verkörperung besitzt, aber die "Zauberflöte" gut kennt und daraus zitiert, aber auch in den halb fertigen Noten stöbern kann, während Mozart komponiert.

Manchmal denkt man, es könnte der Tod sein, der da spricht, zumal der manchmal weitschweifend assoziierende Erzähler dem Komponisten unterstellt, er hätte sein eigenes Requiem nicht geschrieben, um sich zu trösten, sondern um sich selbst zu töten. Vieles an Wilgenbus' Text ist spekulativ, am Ende wird räsoniert über die Begriffe des Vollendens und der Vollkommenkeit: warum jedes Werk eine Tür in der Wand schloss, das Requiem aber unfertig bleiben musste. Am Ende trifft der Erzähler am vorgestellten Grab Mozarts einen kleinen Jungen, der versichert: "Ich kann Wind komponieren. Und Bäume. Und Steine und Erde und Kinder und Häuser und die ganze Welt. Soll ich es dir vorspielen?" Was für eine schöne Utopie, dass Mozart lebt.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2018
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