Klassik:Übergroßer Drache

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Wolfgang Rihm hat den Münchner Philharmonikern mit seinem zwanzigminütigen Orchesterstück "Transitus III" ein Geburtstagsständchen komponiert, das mal kraftvoll, mal träumerisch sinnend daherkommt.

Von Michael Stallknecht

Weil die Münchner Philharmoniker im vergangenen Herbst 125 Jahre alt geworden sind, feiern sie derzeit gleich eine ganze Saison lang. Jetzt mit einer Uraufführung von Wolfgang Rihm und ihrem alten Freund Anton Bruckner, dessen sämtliche Symphonien sie gerade mit ihrem Chefdirigenten Valery Gergiev sukzessive neu einspielen. In der Gasteig-Philharmonie stand die Vierte auf dem Programm, die "Romantische", die, so was kann alten Freunden bei Geburtstagen passieren, ein bisschen redselig wurde, weitschweifend feierlich, vor allem: ziemlich langsam, wo nur immer möglich. Nun gut, Gergievs Vorgänger Sergiu Celibidache wählte am gleichen Ort noch langsamere Tempi, wie ältere Geburtstagsgäste dem Rezensenten nach dem Konzert mit Wehmut in den Augen versichern. In jedem Fall zelebrierte auch Gergiev ausgiebig Bruckners mystische Aura, mit inbrünstig zitternden Pianostellen und umso krachenderen Fortissimo-Passagen als Ausgleich.

Damit passte die "Romantische" immerhin zum wichtigeren Vorspiel des Abends, das der Komponist Wolfgang Rihm den Philharmonikern zum Geburtstag geschenkt hat. Denn "Transitus III", wie das Auftragswerk heißt, spart ebenfalls nicht mit Kraft, auch wenn es bereits das dritte seiner Art ist. Der Erstling "Transitus I" wurde 2014 zum 150. Geburtstag von Richard Strauss in der Mailänder Scala uraufgeführt. Wie dieser nutzt "Transitus III" den großen Orchesterapparat von Richard Strauss' "Tod und Verklärung" und fügt noch einiges an Schlagwerk hinzu. Transitus, das kann den Übergang vom Leben ins Jenseits meinen, was vor dem Hintergrund der öffentlich gewordenen und inzwischen anscheinend überstandenen Krebserkrankung des Komponisten eine makabre Note bekommen könnte.

Wie im Rausch entfaltet sich dieser einsätzige Zwanzigminüter.

Doch Wolfgang Rihm, wenn auch persönlich bei der Uraufführung nicht anwesend, scheint ungebrochen in seiner schon immer staunenswerten Produktivität, ungebrochen vor allem auch in der Kraft einer enthemmten Momenthaftigkeit, der seine Musik schon immer gern gehuldigt hat. "Transitus III" entfaltet sie in blitzhaft wechselnden Zuständen, lässt das Orchester oft süß singen, aber auch mit den Muskeln spielen, lässt mal einen Marsch anklingen und mal wie bei Gustav Mahler die Glocken läuten, mal auffahren oder katastrophisch zusammenbrechen und dann wieder träumerisch sinnen.

Wie im Rausch entfaltet sich dieser einsätzige Zwanzigminüter, meint doch Transitus in musikalischen Kategorien auch den Übergang, der in der klassischen Kompositionstradition der motivischen Arbeit untergeordnet ist. Jenseits aller klassizistischen, vom Maßhalten geprägten Formen sucht Rihm hier die Emanzipation des Übergangs, den schon die Romantik weit vorantrieb. Die Übergänge spinnen sich untereinander fort, ohne noch auf die Herrschaft eines Themas angewiesen zu sein. Deshalb erinnert "Transitus III" an Richard Strauss in der enorm kunstvoll gearbeiteten Verschlingung der Linien, auch den üppig fließenden Melodieansätzen in den Violinen, den Hörnern und Trompeten. Er treibt die einander überstürzenden Figurationen aber noch weiter in eine Hyperromantik hinein, die zugleich den Übergang zur Moderne bezeichnet, etwa zu Charles Ives, der das Gleichzeitige des Ungleichzeitigen zum Prinzip erhob.

Die Münchner Philharmoniker dürfen sich also klanglich von ihrer bekannt romantischen Seite zeigen, während ihnen das Stück in der Fülle seiner Ereignisse zugleich eine hohe Virtuosität des Zusammenspiels abverlangt. Wohl auch deshalb sorgt Valery Gergiev vor allem für Koordination, wo das Stück bei Folgeaufführungen vielleicht noch enthemmter daherkommen könnte. Rihm hat den Philharmonikern einen sich übergroß windenden Drachen geschenkt, dessen Schuppengeflecht je nach Sonneneinstrahlung in vielen Farben schillert, der mal wild mit dem Schwanz schlägt und Feuer speit, mal sanft den Kopf auf die Pfoten legt. Womit er als Partygast auf jeden Fall deutlich jugendlicher wirkte als der kolossale Elefant des Anton Bruckner, der danach Einzug hielt.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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