Zu Beginn seines Liederabends bedankt sich Benjamin Bernheim erst einmal bei den Salzburger Festspielen dafür, dass er in diesem Jahr wenigstens hier auftreten darf. Als Gastgeschenk hat er zu diesem schwierigen hundertsten Jubiläumsjahr der Festspiele mitgebracht: vier Lieder von Richard Strauss, einem ihrer Gründerväter. Doch vor allem bestreitet der Tenor diesen corona-bedingt pausenlosen Liederabend mit Repertoire aus seiner französischen Heimat, dem umfangreichen Liederzyklus "Les Nuits d'été" von Hector Berlioz, dazu ausgewählten Liedern von Henri Duparc, Reynaldo Hahn, Charles Gounod und Francis Poulenc.
Das Meiste davon ist auch hierzulande bekannt, ambitioniert würde man die Programmwahl kaum nennen - nur dass man es selten derart idiomatisch gesungen hört. Bernheim geht die Lieder gemeinsam mit seiner Klavierbegleiterin Carrie-Ann Matheson ganz von jener leichten, spezifisch französischen Kunst der Sprachbehandlung an, die sofort eine Verbindungslinie zum Chanson des 20. Jahrhunderts herstellt. Dass sie so natürlich klingt wie hier über weite Strecken, fordert im klassischen Gesang freilich viel Kunst. Auch bei Bernheim fügen sich die Worte in den "Nuits d'été" noch nicht immer zum Legato, bricht mancher Ton gerade in der Tiefe und im Leisen aus der Linie aus. Das bedeutet aber auch, dass er von Beginn an mit vollem Risiko singt, und eben damit jenes elektrisierende Moment erreicht, dass es nur im Livekonzert geben kann.
Faszinierendes riskiert Bernheim vor allem im Piano, in den sanft bis ins Grau abgetönten Farben, den raffinierten Mischungen aus Brust- und Kopfstimme. Wie in "Absence", in dem er bei Berlioz die Erinnerung an die verlorene Geliebte mit stockender Langsamkeit abtastet. Oder danach in "Phidylé" von Henri Duparc, wo das "Repose, ô Phidylé" ("Ruh' dich aus, Phidylé") unmittelbar zur erotischen Verheißung wird. Überhaupt lässt auch dieser Liederabend verstehen, warum Bernheim momentan in der Oper als ideale Verkörperung für viele Liebhaber-Rollen gilt. Er kann einen geradezu unverschämten Lausbubencharme raushängen lassen, wenn er seiner neuen Liebe im letzten Lied von Berlioz' Zyklus verspricht, dass er zwar überhaupt nichts versprechen kann, aber zu allem bereit wäre. Oder wenn er bei Strauss in "Heimliche Aufforderung" ein Stelldichein in Aussicht stellt, zumal seine Diktion im Deutschen ebenso makellos ausfällt wie die im Französischen.
Und dann hat er mal wieder alle Herzen gewonnen
Doch wie bei allen guten Tenören hat das erotische Moment vor allem mit dem Wechselspiel von Kraft und Zärtlichkeit zu tun, das Bernheim beherrscht. Dabei setzt er im Lied keineswegs auf die gröberen Farben der Oper, behält den großen Ausbruch aber jederzeit in der Hinterhand. Lange deutet er ihn nur an, nimmt ihn fast kokett rasch wieder ins Piano zurück. Aber spätestens im spätromantischen Duktus von Duparcs "L'Invitation au voyage" oder Strauss' "Befreit" schwingt sich diese Stimme zu weiten Linien auf, die das Salzburger Haus für Mozart bis unter die Decke mit vokaler Energie füllen.
Dass seine Klavierpartnerin sich davon fast nie mitreißen lässt, bleibt umso unverständlicher. Matheson begleitet durchgängig präzis, lässt aber in ihrem feinen, manchmal auch einfach nur dünnen Klavierton kaum Farben entstehen. Doch Benjamin Bernheim vermag die eineinhalb Stunden auch allein zu füllen. Dass er dabei keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigt, ist bewundernswert genug. Und spätestens wenn er zur zweiten Zugabe - höchst geschmackvoll - "Dein ist mein ganzes Herz" singt, hat er mal wieder alle Herzen gewonnen.