Süddeutsche Zeitung

Klassik:Sex mit Jupiter

Barry Kosky inszeniert Händels Oper "Semele" an der Komischen Oper Berlin als himmlisches Drama mit hohem Unterhaltungswert.

Von Julia Spinola

Der göttliche Blitz hat eingeschlagen in die bürgerliche Behaglichkeit. Wände und Mobiliar sind verkohlt. Aus einem kleinen Aschehaufen wühlt sich Semele und klaubt die Bruchstücke ihrer Geschichte zusammen. Es ist die einer tödlichen Besessenheit, die nicht nur alle Konventionen sprengt, sondern die Grenze zwischen Himmel und Erde gleich mit zum Einstürzen bringen will. Seit sie von seinem Blitz gestreift wurde, ist Semele Jupiter verfallen und befindet sich in einer Art Dauerglühen, das kein gutes Ende nehmen kann. Dies gilt umso mehr, als die eifersüchtige Göttergattin Juno ihr den Wunsch einflüstert, Jupiter ohne seine menschliche Verkleidung in unverhüllter Gottespracht zu sehen. Dem vermenschlichten Gott wiederum hat der Sex mit Semele das Hirn so vernebelt, dass er sich diesen Schwur tatsächlich abringen lässt, wohl wissend, dass Semele in seinen Blitzen verbrennen muss. Dass Jupiter aus ihrer Asche den Gott des Weines Dionysos als ihr gemeinsames Kind retten wird, führt dann schon in eine andere Geschichte.

Ein hocherotisches Sujet wie dieses braucht eine besondere Form. Georg Friedrich Händel schrieb die "Semele" 1744 in London als Oratorium, das im Herzen eine Oper ist. Denn statt eines Moralstücks, das vor den Folgen menschlicher Hybris warnt, komponierte Händel einen Erotik-Thriller mit schier endlosem Koloratur-Jauchzen und verschmelzungssüchtiger melodischer Süße bis hin zu einem barocken Liebestod. Seine Musik lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, auf wessen Seite der Komponist steht. Jenseits der starren Seria-Konventionen konnte Händel im Oratorium mit höchst lebendigen musikdramatischen Formen im fließenden Übergang zwischen Arie, Ensembles und Accompagnato-Rezitativ experimentieren. An der Komischen Oper Berlin wird für die Inszenierung der "Semele" auch auf barocken Instrumenten gespielt. Der Dirigent Konrad Junghänel schärft die instrumentalen Gesten dieser Musik und betont ihre oft grelle Farbigkeit. Ebenso rasch wie der musikalische Ausdruck wechseln die Schauplätze. Diese Offenheit greift der Intendant der Komischen Oper, Barrie Kosky, auf und erzählt das Stück als szenisches Kaleidoskop ebenso schrill wie eindringlich von seinem Ende her.

Bühnenbild (Natacha Le Guen de Kerneizon) und Kostüme (Carla Teti) stammen noch aus dem Regiekonzept von Laura Scozzi, die ihre Arbeit kurz nach Probenbeginn aus Krankheitsgründen niederlegen musste. Barrie Kosky, der sich sonst oft Jahre auf seine Regiearbeiten vorbereitet, sprang über Nacht ein. Verlassen kann er sich auf den Furor seiner Semele-Darstellerin Nicole Chevalier, die sich erneut als wahres Theatertier beweisen kann. Einmal von Jupiter an ihrem Brautschleier durch die Kaminöffnung hinauf in den Himmel entführt, wird sie nurmehr zwischen den Gefühlsextremen hin und her geschleudert. Sie rekelt sich in lasziven Tänzen hinter einem magischen Spiegel über dem Kaminsims, der - wie in Jean Cocteaus "Orpheus"-Film - als Durchgang in eine andere Sphäre dient. Damit bringt sie vor allem die zickige Juno der Ezgi Kutlu zur Raserei. Dann wieder schneidet sie sich an diesem Spiegel die Pulsadern auf, robbt verzweifelt über den Bühnenboden, lässt sich von Jupiter wie ferngesteuert lenken oder zerfließt in seinen Armen. Auch sängerisch wirft sich Nicole Chevalier rückhaltlos in die Partie. Leider grenzt die Gestaltungswut oft ans Aufgesetzte, Zu-dick-Aufgetragene.

Allan Clayton dagegen ist zwar als draller Jupiter im Frack mit lila Socken und barocker Haarpracht szenisch eine schräge Nummer. So stilsicher und einfühlsam, wie er die Partie mit seinem perfekt fokussierten, farbenreichen Tenor gestaltet, glaubt man ihm jedoch jede Note. In seiner großen Verführungsarie "Where 'er you walk" gelingt ihm eine vielfältige Pianissimo-Schattierung und ein unwiderstehlich sanfter, betörender Schmelz. Die andere Seite des Gottes freilich bringt den Saal zum Erzittern, wenn über Lautsprecher ohrenbetäubendes Donnern erschallt.

Koskys Inszenierung reißt die Aspekte des zwischen Tragik und Komik schillernden Stücks auf, ohne es auf klare Aussagen oder Stimmungen zu reduzieren. Mit dem für die Komische Oper typischen Hang zum Klamauk sind vor allem die Nebenfiguren gezeichnet, die dem Geschehen Leichtigkeit verleihen - und hohen Unterhaltungswert. Ovationen.

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Quelle:
SZ vom 28.05.2018
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