Klassik:"Schlag's aufs Schnäuzlein"

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Zwischen Frühromantik und Moderne: Das Münchner Kammerorchester spielt Charles Ives, HK Gruber und Louise Farrenc, lauter Außenseiter des Klassikbetriebs.

Von Reinhard J. Brembeck

Dass das Klassikpublikum selbst in München nicht immer nur bevorzugt Brahms, Beethoven und Bruckner hören möchte, dafür sind die Konzerte des Münchner Kammerorchesters im fast immer ausverkauften Prinzregententheater der beste Beleg. Und so war es auch dieses Mal, als Charles Ives, HK Gruber und Louise Farrenc gespielt wurden, alle drei keine Publikumsmagneten, sondern Außenseiter des Klassikbetriebs.

Das Theaterorchester-"Set" von Charles Ives, dieses für jedes Experiment zu begeisternden John-Cage-Vorläufers und Gründers einer Versicherungsgesellschaft. Da finden sich nachtdunkle Klänge, die Aufgekratztheit und die romantischen Sehnsüchte eines Städters, Stride-Piano-Passagen, jazzige Bläserfanfaren und Bluesrhapsodisches.

Bridget MacRae spielt virtuose Rasereien, und HK Gruber rezitiert H.C. Artmann dazu

In "Frankenstein!!" hat der Wiener Komponist, Dirigent und Chansonnier HK Gruber Kinderverse des stets auf Umsturz sinnenden H. C. Artmann vertont: rotzig mit Tröten und Heulschläuchen, blutgierig versoffen, rappend. Die Cellistin Bridget MacRae spielt dazu virtuose Rasereien, und HK Gruber himself - der Mann ist ja erst 76 - singt und rezitiert die Reimgedichte auswendig mit Understatement und kalter Häme: "grüß gott, grüß gott, herr frankenstein, seid ihr der puppendoktor" und dann "frau mama und herr papa, vampirlein will mich beißen. nimm ein kreuzlein, schlag's aufs schnäuzlein, wird's dich nicht mehr beißen!"

Dann aber zurück in die Frühromantik, zur Komponistin und Pianistin Louise Farrenc (1804-1875) und ihrer 1849 erstaufgeführten g-Moll-Sinfonie, ihrem größten Erfolg, ihrem besten Stück. Farrenc wird derzeit wiederentdeckt, und diese Symphonie, die Duncan Ward auswendig und wie zuvor schon Ives und Gruber mit tiefem Verständnis dirigiert, erklärt warum. Das Stück steht auf gleicher Höhe mit den Sinfonien Felix Mendelssohns: romantisch überformter Klassizismus. Grandios, wie sich die vier Sätze ergänzen und steigern, verführerisch die mondhelle Harmonik, die elegante Vielstimmigkeit, der rhythmische Furor, das unverkrampft Stürmische, die Melodik.

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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