Klassik-Pop:Super Schwingungen

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Nichts für grüne Jungs: Die Beach Boys zählen schon zu den älteren Herrn. Bei der Night of the Proms rockten sie trotzdem munter die Olympiahalle. (Foto: wearephotographers)

Die Night Of The Proms mit den Beach Boys als Haupt-Act füllen an drei Abenden die Olympiahalle - und geben sich mit der Erinnerung an die Terroranschläge von Paris auch mal nachdenklich

Von Dirk Wagner, München

"Den dreyssig tausend Bayern die im russischen Kriege den Tod fanden, auch sie starben für des Vaterlandes Befreyung", steht auf Leo von Klenzes Obelisk am Karolinenplatz geschrieben. Das Wort "auch" in jener Widmung könnte auf einen anderen, mittlerweile nicht mehr existierenden Obelisken reagiert haben, der damals das Heldengrab eines französischen Generals auf dem Südfriedhof zierte. Als Mitglied des von Napoleon initiierten Rheinbunds musste Bayern nämlich dem französischen Kaiser 1812 für dessen Russlandfeldzug jene bayerischen Soldaten stellen, von denen nur wenige zurück kamen.

Tschaikowskys "Ouvertüre 1812", die nach der Pause den zweiten Teil von Night Of The Proms 2015 in der Olympiahalle einleitet, feiert als ein vom russischen Zaren beauftragtes Werk indes den damaligen Sieg der Russen über die Franzosen. Darum ist übrigens die darin erklingende Marseillaise überhaupt nicht so positiv gemeint, wie das die eingangs der Veranstaltung bekundete Widmung nahelegen könnte, die auf die Terroranschläge in Paris reagiert: "Nous sommes tous Français - Wir sind alle Franzosen" . Allerdings wirkt die "Ouvertüre 1812" in der Interpretation des von Robert Groslot geleiteten 75-köpfigen Orchesters Il Novecento ohnehin nicht so glorifizierend, wie Tschaikowskys Komposition gedacht war.

Dafür sorgt schon eine der Aufführung voran geschickte Einführung ins Werk, die vor allem die Opfer betont, die jener musikalisch aufbereitete Krieg kostete. Damit gerät jene Komposition nun auch hinsichtlich der eingangs formulierten Solidarität gegen die Terroranschläge in Paris als Mahnung. Sie ist darum nicht nur das tagespolitisch aktuellste Stück im dreieinhalb-stündigen Musikspektakel, sondern auch das ernsteste.

Das kann auch Fernando Varela, der 16-fach mit einem Grammy ausgezeichnete Tenor aus Puerto Rico, nicht verhindern, als er schon fast zu Beginn des diesjährigen Night Of The Proms Puccinis Arie "Nessun Dorma" voller Leidenschaft ins Mikrofon - und gelegentlich auch am demonstrativ weg gedrehten Mikrofon vorbei - schmettert. Hier beben nicht nur die besungenen Sterne vor Liebe und Hoffnung. Hier bebt innerlich auch das Publikum, das zum großen Teil schon regelmäßig die seit 1985 jährlich stattfindende Konzertreihe besucht. Die darin praktizierte Mischung aus Klassik und Pop erfährt in jener Arie aus der Oper "Turandot" nämlich auch ein sogenanntes Klassik-Stück, das im Grunde schon Pop ist.

Umgekehrt ist die orchestrierte Version etwa des U2-Klassikers "With Or Without You" weit davon entfernt, aus einer Pop-Hymne ein würdevolles Klassik-Stück zu entfalten. Dergleichen sollte man darum auch nur als wohlklingende Pause zwischen den zahlreichen großartigen Kurzauftritten der diesjährigen Stars deuten. Den der norwegischen Sängerin Maria Mena zum Beispiel, der man ob ihres hingebungsvollen Gesangs durchaus den Schmerz nachempfindet, den sie in ihrer aktuellen Single "I Don't Wanna See You With Her" besingt. Oder den kurzen Auftritt von Orchestral Manoeuvres In The Dark, die in bewährter, wenngleich orchestral bombastisch erweiterter Synthpop-Manier einmal mehr auf sieben Meere segeln: "Sailing On The Seven Seas". Oder John Miles. Nachdem er seit 25 Jahren schon fast jährlich in der Night Of The Proms mitwirkt, kredenzt er statt eines eigenen Hits eine hitverdächtige Coverversion von Miley Cyrus' "Wrecking Ball", bevor das Orchester mit dem entsprechenden Soundtrack von Martin Böttcher dem heuer verstorbenen Pierre Brice gedenkt, der dann auch in verschiedenen Filmausschnitten auf der Großleinwand noch einmal als Winnetou zu sehen ist.

Dank solch musikalischer und thematischer Sprünge gerät das Mammutprogramm so abwechslungsreich und kurzweilig, dass Längen nicht einmal dort aufkommen, wo Johannes Oerding einmal mehr darüber lamentiert, dass ein Zeitungs-Kritiker einmal seinen Auftritt nicht in der Weise wertzuschätzen wusste, wie er es selbst für angemessen befunden hätte. In dem vorab erläuterten Song heißt es darum: "Dieser Zeitungsredakteur, der selber gerne Musiker wär', hatte früher mal 'ne Band, die außer ihm sonst niemand kennt. War keiner da. Das ist traurig aber wahr." Leider verrät Oerding nicht, woher er von jener Band des Kollegen weiß, die angeblich niemand kennt. Damit der Autor dieser Zeilen aber nicht im nächsten Song aus Oerdings Feder verhandelt wird, soll hier ausdrücklich bestätigt sein: Oerding macht vor dem Orchester eine super Figur, ist sehr unterhaltsam und liefert sich mit dem Trompeter auch ein sehr witziges Duett, in welchem der Sänger den Klang einer Posaune imitiert.

Trotzdem bleibt der Höhepunkt des Abends der Auftritt der Beach Boys. Angesichts solcher Legende stört es auch niemanden, dass in Wahrheit nur ein originaler Beach Boy mitspielt, nämlich Mike Love. Sowie Bruce Johnston, der immerhin schon seit Mitte der 1960er den einstigen Mastermind der Band, Brian Wilson, live ersetzte, während dieser daheim geblieben das beste Album der Beach Boys, nämlich "Pet Sounds", produzierte. Mike Love hasste damals das Album, sowie auch die nachfolgenden Kompositionen von Brian Wilson, die alle nichts mehr mit dem Surfer-Image zu tun hatten, das man der Band werbewirksam verpasst hatte. Es muss ihm darum eigentlich auch recht übel aufstoßen, wenn er, der sich den Namen Beach Boys für seine Tour lizenzieren lassen musste (während sein einstiger Bandkollege Al Jardine als Endless Summer Band tourt), nun ausgerechnet Songs aus dem verhassten Pet-Sounds-Album spielen muss, weil sie sich so hervorragend für einen Auftritt mit einem Orchester eignen.

Und weil der neue Gitarrist der Band, Jeffrey Foskett, auch Brian Wilsons Falsett-Gesang klanggenau zu ersetzen weiß, ist dies am Ende sogar noch ein tolles Beach-Boys-Konzert, das natürlich auch Mike Loves Lieblingslieder feiert: "Surfin USA", "Barbara Ann" oder "I Get Around" zum Beispiel. Zum Grande Finale kommen schließlich auch die anderen Stars des Abends wieder auf die Bühne und singen gemeinsam mit den Beach Boys "Good Vibrations".

Prompt eilen Zuschauer zum Sonderverkaufsstand in der Olympiahalle und sichern sich schon Karten für die nächste Night Of The Proms, die dieses Jahr immerhin dreimal hinter einander die Olympiahalle füllte.

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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