"Così fan tutte" in Salzburg:Extremsport Liebe

"Così fan tutte" in Salzburg: Elsa Dreisig (Fiordiligi, links) und Marianne Crebassa (Dorabella, rechts) mit ihren Männern.

Elsa Dreisig (Fiordiligi, links) und Marianne Crebassa (Dorabella, rechts) mit ihren Männern.

(Foto: SF/Monika Rittershaus)

Mozarts Frauen und Männer in Salzburg: Joana Mallwitz dirigiert "Così fan tutte" in der Inszenierung von Christof Loy.

Von Wolfgang Schreiber

Mozart feiert die Frauen! Am entschiedensten, tiefsten und schönsten in seinen drei italienischen Opern des genialen Librettisten Lorenzo Da Ponte. Mozarts Frauen - Donna Anna und Zerlina, Gräfin Almaviva und Susanna, Fiordiligi und Dorabella e tutte quante - sie sind klug, selbstbewusst und schlau, sie treiben streitbar, empathisch, lustvoll ihre Machos vor sich her, sie erreichen, bei allen Irrungen und Wirrungen, den höchsten Grad einfühlender Effizienz. Bis in die große Politik von heute? "Tendenziell gibt es bei den Frauen", so neulich die deutsche Bundeskanzlerin, "eine gewisse Sehnsucht nach Effizienz."

Mozarts Männer hingegen labern und lügen, intrigieren und verbiegen sich, müssen sich am Ende schämen oder untergehen. "Alles das geht ganz klar aus der Musik hervor", weiß Joana Mallwitz, die kluge, temperamentvolle Dirigentin von Salzburgs "Così fan tutte". Die Aufführung war das Opern-Highlight der vergangenen Festspiele. Sie empfinde diese Oper, sagt Mallwitz, als "ein Extrakt von allen Erfahrungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens in der Beziehung zu einem anderen Menschen machen kann". Das reiche "von Verliebtheit über Ehrlichkeit, Verwirrung, Vertrauen und Verletztheit bis hin zum Gefühl einer ganz tiefen Verbundenheit" verursacht "durch eine Extremsituation".

Mozarts Dramma giocoso, die abgefeimte Komödie um eine verruchte Liebeswette, ist seit Claudio Monteverdis "Poppea" oder Georg Friedrich Händels lyrisch aufbrausenden Politsatiren so ziemlich das Zynischste, was ein Komponist sich mit seinem Librettisten für die Opernbühne ausgedacht hat, verwerflicher geht es nicht: Zwei Liebhaber wetten um die Treue ihrer Geliebten, deren Untreue sie durch schändlichen Partnertausch selbst herbeiführen. Der Moralist Beethoven und das ganze 19. Jahrhundert mieden logischerweise dieses Beweisstück des galanten amoralischen 18. Jahrhunderts.

Mallwitz lauert den im Klangkörper versenkten Abgründen auf

Joana Mallwitz war im vorigen Jahr die erste Frau am Dirigentenpult, die eine Salzburger Festspielpremiere leitete. Und sie ist, Salzburger Glücksfall, die "Mozartversteherin", mit allem Gestaltungsfeuer in der Partitur zu Hause. Mallwitz ist ohne Unterlass auf dem Sprung zu den jähen emotionalen Tempowechseln, zu all den weichen harmonischen Überraschungen oder heftigen Attacken des Dreinfahrens, vor allem: Sie lauert immerzu Mozarts Subtext von Ton und Bedeutung auf, also den im symphonischen Klangkörper versenkten seelischen Abgründen der hier gnadenlos ausgestellten Menschenwesen. Sie kann in die beiden sich anziehenden und abstoßenden, sich liebenden und leidvoll prüfenden Liebespaare, in die Verwerfungen ihrer Körper und Psychen, in ihre Krisen, Freuden und Verzweiflungen mit aller Emphase gleichsam hineinkriechen.

Die Wiener Philharmoniker hat Mallwitz lyrisch im Griff ihrer weit ausschwingenden Arme oder scharf-rhythmischen Handkantensignale. Dank ihrer immensen musikalischen Hör- und Beobachtungsschärfe erfasst sie noch die verborgensten Gefühlsregungen, die freud- und lustvollen wie schmerzhaften Ausbrüche der sechs dramatischen Personen dieser Verwirrkomödie.

Aber was wäre deren Salzburger Präsenz ohne den Minimalismus in Bühnenbild (Johannes Leiacker) und Kostümen (Barbara Drosihn), also den leeren flachen, weißglänzenden Raum mit nur zwei weißen Türen, was ohne die hellsichtige Inszenierung von Christof Loy. Der Regisseur beschreibt den ersten Akt als die heitere Jugend zweier Paare, den zweiten als den bitteren Abschied von dieser Jugend. Interessant sei für ihn vor allem, sagte er über die beiden Frauen, "dass Fiordiligi und Dorabella mit sehr viel weniger Kalkül handeln als die Männer. Sie lügen eigentlich nie in dem Stück, sind immer aufrichtig". Was da auf leer geräumter Bühne zwischen den Personen sich abspielt, ist von höchster körperlicher wie seelischer Komplexität. Loys Geheimnis heißt: "Wir können ganz nah an die Figuren heranzoomen, weil uns nichts ablenkt."

Nach Joana Mallwitz und Christof Loy der dritte Glücksfall der Aufführung: die sechs Gesangsdarstellerinnen und -darsteller samt ihrer Kunst einer auf der Bühne gelebten Wahrhaftigkeit. Elsa Dreisig als Fiordiligi und Marianne Crebassa als Dorabella spielen die weiblichen Schwächen und Reize beider Frauen mit lodernder Inbrunst aus; Dreisigs Sopran triumphiert mit enormer lyrischer Ausdruckskraft in ihrer zweiten großen Arie "Per pietà, ben mio"; Crebassa singt betörend stark in Arien und Duetten deren Alter Ego, ihrer beider Verbundenheit erweist sich traumwandlerisch expressiv.

In den Rezitativen und Duetten mit ihren männlich liebenden und betrügenden Gegenspielern, dem Ferrando des einfühlsam lyrischen Tenors Bogdan Volkov und dem Guglielmo des willensstarken Baritons Andrè Schuen, wird die ganze Stärke der Aufführung gegenwärtig: ihre fantastisch jugendliche Anmutung, die realistische, mit Situationskomik und sportiver Körperlichkeit gespickte Daseinsfreude beider Paare. Junge Sänger heute sind feinmotorisch schlank, reaktionsfreudig am Werk. Lea Desandre als aufmüpfige Despina und Johannes Martin Kränzles bewegter Philosoph Don Alfonso runden das Glück des Abends ab. "La scuola degli amanti" heißt der Untertitel von "Così fan tutte", eine Schule der Liebenden also. Mozarts herbe Komödie ist insgeheim eine in der Musik bewahrheitete psychostrukturelle Analyse der Liebe.

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