Klassik:Münchner Kammerorchester

Gringolts und Pomarico
(Foto: Florian Ganslmeier)

Von Reinhard J. Brembeck

Auf der Bühne des Münchner Prinzregententheaters wirken die sieben Geigerinnen, zwei Bratschisten, zwei Cellospieler und die eine Kontrabassistin des Münchner Kammerorchesters etwas verloren. Jetzt stürmt der Dirigent Emilio Pomàrico, Jahrgang 1954, auf die Bühne, agil, weißmähnig, hochgewachsen, elegant im Anzug, er hat ausnehmend lange Arme und Finger. Kurz fixiert er die wenigen Musiker. Dann greift er entschlossen in den Raum und lässt einen herb irdenen Klang erstehen, der sofort zu verrutschen beginnt, nach oben, nach unten, nach vorn, nach hinten. Abbruch, Stille. "Aroura" bezeichnet bei Homer das bebaubare Land, das Wort verweist also auf Fruchtbarkeit, Leben, Zukunft. "Aroura" heißt auch diese elfminütige Streichermusik des Architekten, Widerstandskämpfers und Komponisten Iannis Xenakis (1922-2001). Xenakis hatte nie etwas im Sinn mit Gefühlsduseleien. Seine Musik vermittelt den Zuhörern stets das Gefühl, sie würden einen Vulkanausbruch erleben. Und zwar mitten im Krater. Also ist diese Musik immer naturhaft ungebändigt, voll faszinierender Herbheit und bedrohlicher Leuchtkraft. In "Aroura" ist das nur aus Streichern bestehende Münchner Kammerorchester ganz (und für das Publikum völlig beglückend) bei sich. Raumfüllend ist der Klang dieser Göttermusikerinnen, aber auch zart bis zur Unhörbarkeit. Ganz natürlich exekutieren sie die aberwitzigsten Spieltechniken und die kniffeligsten Passagen - und produzieren dabei noch einen herrlich vollen, romantisch süffigen Klang. Danach, in Paul Hindemiths "Kammermusik Nr. 4", in der der Geigensolist Ilya Gringolts angestrengt um sein akustisches Überleben kämpft, sowie in der ersten Serenade von Johannes Brahms, kommen dann Bläser zu den Streichern hinzu. Das sind alles erfahrene und sensible Musiker, allen voran der Hornist Franz Draxinger. Aber ihre modernen Instrumente sind einfach grundsätzlich zu laut und zu dominant, sodass die Streicher dadurch ins Hintertreffen geraten. Kein Dirigent, auch nicht Emilio Pomàrico, könnte die Bläser derart bändigen und ruhigstellen, dass da die Streicher eine reale Chance hätten. Und so bleibt von diesem Konzert allein "Aroura" als das vollkommene Glück in Erinnerung.

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