Süddeutsche Zeitung

Klassik:Konzentriert vervollständigt

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Neu bearbeitet: Der BR-Chor singt Mozarts Requiem

Von Klaus Kalchschmid, München

"Wie hast du's mit dem Lacrymosa?" So könnte die Gretchenfrage zu jeder Vervollständigung des Mozart-Requiems lauten. Von Franz Beyer (1971) über Ro-bert D. Levin (1991) bis Pierre-Henri Dutron (2016) gibt es davon etliche. Denn für diesen Satz sind nur die ersten, in sich vollendeten acht Takte überliefert. Kaum einer hat die 22-taktige Fortspinnung durch Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr mit einem knappen Amen statt einer Fuge grundlegend in Frage gestellt. Howard Arman ist nicht der erste, der diese Fuge nach einem Skizzenblatt Mozarts geschrieben hat, aber vielleicht der einzige, dem dies überzeugend gelungen ist. Und er hat nach den ersten acht Takten des Beginns eine komplett eigenständige, sehr konzentrierte und faszinierende Weiterentwicklung komponiert, die direkt zur Fuge überleitet.

Arman ließ für das Konzert mit dem BR-Chor im Herkulessaal zwar die komplett von Süßmayr stammenden Teile Sanctus, Benedictus und Agnus Dei unangetastet, aber er revidierte die Vervollständigung und Instrumentierung durch ihn in den anderen Sätzen nicht nur, wie das die meisten, auch die oben genannten, Bearbeiter taten, sondern fasste das Werk, von dem es nur die Singstimmen, eine durchlaufende Basslinie mit Andeutung der Harmonisierung sowie einzelne instrumentale Begleitungen und Übergänge gibt, fast vollständig neu.

Hier ist leider nicht der Platz, um ins Detail zu gehen; erwähnt sei aber zumindest, dass Arman sich am deutlichsten von Süßmayr vielleicht im Tuba Mirum unterschied, indem er Begleitfiguren nicht stereotyp wiederholte, sondern geschickt variierte, auch eine reine Streicherbegleitung etwa durch Bläserfiguren auflockerte oder variabel artikulieren ließ. So schuf er an vielen Stellen eine gelungene neue Vervollständigung, die sich von den komplett unangetasteten reinen Süßmayr-Teilen absetzte, die schöne Musik enthalten, aber stilistisch und satztechnisch doch von Mozart entfernt sind. Das war durchaus ein Gewinn, zumal am Ende unmittelbar ein "Libera Me" folgte, mit dem Sigismund Ritter von Neukomm 1821 das Requiem liturgisch ergänzte, nicht ohne dabei Mozart geschickt zu zitieren und zu paraphrasieren.

Vor der Pause gab es die herrlich fließende "Vesperae solennes de confessore" KV 339 des 24-jährigen Mozart. Und schon hier bildeten BR-Chor, die Solisten Christina Landshamer, Sophie Harmsen, Julian Prégardien und Tareq Nazmi sowie die Akademie für Alte Musik Berlin ein wunderbar miteinander musizierendes und aufeinander reagierendes, homogenes Ensemble. Wer den Termin, 25. Januar um 20 Uhr, unter www.br-klassik.de/programm/radio aufruft, kann das Konzert samt Interview mit Howard Arman zu seiner Arbeit innerhalb der nächsten vier Wochen nachhören.

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Quelle:
SZ vom 28.01.2020
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