Süddeutsche Zeitung

Klassik:Klangerkundung

Das Bayerische Jugend-Barockorchester

Von Andreas Pernpeintner

Wer Schulmusikunterricht erhalten hat, weiß, was ein präpariertes Klavier ist: Diverse Gegenstände werden zwischen die Saiten geklemmt, Papier zum Beispiel, wodurch anstatt des Klaviertons ein perkussives Schnarren und Klopfen entsteht. Ob's schön klingt, sei dahingestellt. Als Erfinder gilt John Cage, die Klangästhetik ist modern. Ist sie das? Im Schloss Schleißheim beim Konzert des Bayerischen Jugend-Barockorchesters durfte man uralte Wurzeln solchen Musizierens bestaunen: Die hier gespielte "Battalia" von Heinrich Ignaz Franz Biber (17. Jahrhundert) ist ein grandioses Werk, in dem selbst für heutige Hörgewohnheiten der Ausdruck kompromisslos intensiv ist. Hier sind es die tiefen Streicher, die sich Papier zwischen die Saiten stecken. Aus einem Pizzicato wird das Knallen von Gewehren im Schlachtengetümmel. Dazu wird gestampft, traurige Melodien besingen das "Lamento der Verwundten Musquetirer", und in "Die liederliche Gesellschaft von allerey Humor" türmen sich derb durcheinander erklingende Gesänge zu einem so dissonanten Gebilde auf, dass man daran zweifeln möchte, alter Musik zu lauschen. Das ist großartig für die Zuhörer, und auch die jungen Musikerinnern und Musiker haben ihren Spaß, spielen beherzt und präzise.

Das Bayerische Barock-Jugendorchester existiert seit zwei Jahren. Beheimatet ist es unter dem Dach des Le Nuove Musiche e.V. Die Idee: Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, Barockmusik mit ihrer Klang- und Spielästhetik stilecht zu ergründen. Gespielt wird auf Instrumenten barocker Bauart, auf Geigen mit Darmsaiten, mit historischen Bögen, auf Traversflöten und auf dem Cembalo. 2014 wurden bayernweit Schulen und Musikschulen angeschrieben. Seitdem treffen sich die Musiker, die sich erfolgreich bewarben, mehrmals im Jahr während der Schulferien zu Probenphasen und Workshops. Einzelunterricht inklusive. Ihre eigenen modernen Instrumente brauchen sie dafür nicht, das Barock-Instrumentarium wird vom Orchester zur Verfügung gestellt. Und natürlich wird mit hervorragenden Lehrern zusammengearbeitet: etwa mit der Cellistin Kristin von der Goltz, der Flötistin Marion Treupel-Franck, dem Cembalisten Robert Schröter und dem Geiger Johannes Heim.

Heim leitet auch das Konzert in Schleißheim - vom Konzertmeisterpult und möglichst diskret. Das ist gewollt. Irgendwann, erzählt Ralf Jaensch von Le Nuove Musiche, sollen die Jugendlichen das barocke Repertoire ohne Profihilfe interpretieren können. Auf dem Weg dorthin sind sie schon weit gekommen: Sie beherrschen nicht nur die Wucht der Biber-Battalia, sondern bei Werken wie Händels "Arrival of the Queen of Sheba" oder Purcells "Abdelazer" auch die Eleganz, die rhythmische Raffinesse und die Virtuosität barocker Musik. Deutlich sind im seidigen, aber stets ausreichend volltönenden Ensembleklang die Stimmengeflechte zu erkennen, die Linien werden lebendig ausgeformt. Die Tutti sind einwandfrei intoniert, die Dynamik ist markant, ohne plakativ zu werden. Das ergibt ein homogenes Gesamtbild. Hier zuzuhören, ist ein Genuss. Hier mitzuspielen ein wohl mindestens ebenso großer.

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Quelle:
SZ vom 21.09.2016
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