Süddeutsche Zeitung

Klassik:Khatia Buniatishvili

Von Michael Stallknecht

Langsam, wie tastend läuft der erste Satz an, nimmt vorsichtig ein wenig an Fahrt auf, um an einem dunklen Basstriller auf Grund zu laufen. Wie weiter?, scheint sich der Komponist zu fragen und beginnt, nicht sicherer als zuvor, erstmal von vorn. Die Wiederholung der Exposition ist in der klassischen Sonatensatzform vorgesehen - und zeigt, so musiziert, doch nur, wie sehr Franz Schubert noch in seiner letzten Klaviersonate mit eben dieser Form rang, erdrückt vom übermächtigen Vorbild Beethovens.

Auf ihrer neuen CD spielt Khatia Buniatishvili das alles wie eine Fragende. Sie ist eine Pianistin, die längst einsortiert zu sein schien in eine erfolgversprechende, aber von Kennern bisweilen naserümpfend geöffnete Schublade des Klassikbetriebs. Gern mit grell geschminkten Lippen und tiefen Dekolletés auf Plattencovern posierend, schien die Georgierin auch musikalisch die Sehnsucht nach dem Weichzeichner zu bedienen. Unzweifelhaft in ihrer virtuosen Technik, glitten ihre Finger so widerstandslos durch Chopin, Liszt, Rachmaninow oder Mussorgsky, dass manchmal auch den Stücken jede Widerständigkeit abhanden kam.

Dass sie nun Schuberts B-Dur-Sonate D 960, gekoppelt mit den Vier Impromptus D 899, eingespielt hat (Sony Classical), muss man vor diesem Hintergrund als Ausbruchsversuch verstehen, als Akt des Widerstands gegen das eigene Image. Das zwei Monate vor Schuberts frühem Tod entstandene Stück ist ein Heiligtum der Klassik, und, wie jedes Heiligtum, auch ein Mysterium, das Rätsel aufgibt. Um letzteres hörbar zu machen, dreht Buniatishvili an der Temposchraube. Und wo sich die Aufnahmen ihrer vielen großen Vorgänger beim langsamen zweiten Satz so um die zehn Minuten einpendeln, braucht Buniatishvili sage und schreibe vierzehneinhalb. Betont subjektiv ist dieser Zugang und könnte schnell sentimental werden. Aber Buniatishvili verliert das Ganze nicht aus den Augen, das Ganze, das hier der Zweifel ist, der Schuberts, vielleicht auch der seiner Interpretin. Die Sonate bleibt bei ihr ein Abbruchunternehmen bis in den Schlusssatz hinein. Khatia Buniatishvili aber sollte nach dieser Aufnahme niemand mehr unterschätzen.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2019
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