Klassik:Karten beim Meister im 3. Stock

Dreieinhalb Stunden netto: In Passau wurde Beethovens erstes Konzertprogramm aus dem Jahr 1800 rekonstruiert. Eine belebende Erfahrung.

Von Johan Schloemann

Im Zeitalter von Youtube und Spotify verdienen Musiker nicht genug mit ihren Plattenaufnahmen. Deswegen sind die Einnahmen durch Konzertauftritte besonders wichtig geworden. Damit aber sind wir wieder in der Zeit vor der Erfindung des Grammophons gelandet. Denn die Musiker der Zeit um 1800 lebten zwar auch von adligen Gönnern und von Notenverkäufen, aber sie waren ebenso auf Konzerte angewiesen.

Im nächsten Jahr wird Ludwig van Beethovens Geburt vor 250 Jahren weltumspannend gefeiert. Doch als Beethoven am 2. April 1800 in Wien sein erstes großes Konzert veranstaltete, da konnte er sich keineswegs nur auf den Beginn von zwei epochemachenden Werkzyklen und seinen möglichen Nachruhm konzentrieren - an dem Abend wurden im alten Burgtheater in einer Reihe anderer Werke seine 1. Symphonie und sein 1. Klavierkonzert uraufgeführt, Beethoven selber war der Solist. Nein, noch Stunden vor dem Konzert, das um halb sieben anfing, hatte Ludwig van Beethoven auch ganz anderes zu tun: Ticketverkauf.

Auf einem Plakat, das erst am Tag des Konzerts aufgehängt wurde, war außer dem geplanten musikalischen Programm zu lesen: "Billets zu Logen und gesperrten Sitzen sind sowohl bei Herrn van Beethoven, in dessen Wohnung im tiefen Graben Nro. 241. im 3ten Stock als auch beym Logenmeister zu haben. Die Eintrittspreise sind wie gewöhnlich." Vorher hatte dasselbe in einer kleinen Zeitungsanzeige in der Wiener Zeitung gestanden: Dort wurde Beethovens erste "große musikalische Akademie" angekündigt - so nannte man damals jene Konzerte, die sich von der höfischen Oper und von der Kirchenmusik emanzipierten -, die Annonce erschien unter diversen Kleinanzeigen, neben einem Stellengesuch und einer Insolvenzmeldung. Ein Großteil der Werbung allerdings lief ohnehin übers Weitersagen von Mund zu Mund. Der Bonner Beethoven lebte damals seit acht Jahren fest in Wien und hatte sich als Pianist sowie als Komponist von Kammermusik und Klaviersonaten schon einen gewissen Namen gemacht.

Klassik: Öffentliche Konzerte hießen "Akademien", mit solchen Anschlagzetteln wurden sie angekündigt.

Öffentliche Konzerte hießen "Akademien", mit solchen Anschlagzetteln wurden sie angekündigt.

(Foto: Beethoven-Haus Bonn)

Man muss versuchen, sich das konkret vorzustellen: drei Treppen hochstiefeln, bei Herrn Beethoven an der Wohnungstür klopfen - und zwar laut klopfen, sein Gehör ließ damals bereits nach -: Ah, Herr Beethoven, Sie spielen doch heute Abend dieses Klavierkonzert, haben Sie da vielleicht noch Karten?

Beethoven stand damals im Alter von dreißig Jahren, passend zum Anbruch eines neuen Jahrhunderts, mit seiner revolutionären Musik am Anfang des bürgerlichen Sinfoniekonzerts mit all seinen Ritualen. Bürgerlich hieß vor allem städtisch, weder Groß- oder Kleinherrscher noch der Klerus waren mehr die Auftraggeber und Veranstalter. In London und Paris gab es solche Konzerte seit einiger Zeit, in Wien waren sie recht neu. Um daran zu erinnern, wurde jetzt Beethovens erste Wiener "Akademie" komplett rekonstruiert aufgeführt, und zwar ein wenig weiter die Donau hinauf, bei den Europäischen Wochen in Passau. Die Idee hatte der Festivalchef Carsten Gerhard; weitere solcher Rekonstruktionen von Beethovens Original-Programmen wird es im kommenden Jubeljahr an anderen Orten geben.

So zackig und doch klangreich wirkt Mozart als Wachhalter für den ganzen langen Abend

Klassik-Sommerfestivals wie das in Passau sind ja überall Feiern der bürgerlichen Musikkultur, aber zugleich auch Gelegenheiten, deren Konventionen zu hinterfragen. Und so war diese Aufführung in der barocken Passauer Jesuitenkirche St. Michael tatsächlich eine augenöffnende, unglaublich belebende, wenn auch durchaus schlauchende Erfahrung. Niemals würde man nämlich heute solch ein Programm wie damals für einen normalen Konzertabend ansetzen.

Das beginnt schon mit der Länge des Programms: dreieinhalb Stunden netto, in Passau auf harten Kirchenbänken, durch zwei Pausen aufgelockert (Beethovens spätere Akademien waren sogar noch länger). Als erstes ließ Beethoven "eine große Symphonie von weiland Herrn Kapellmeister Mozart" spielen, man weiß nicht zweifelsfrei, welche. In Passau entschied man sich für die Jupiter-Symphonie, weil diese wie die anderen beiden Orchesterwerke Beethovens an dem Abend in C-Dur steht, und weil Beethoven damit ausgedrückt hätte: Nach Mozarts letzter kommt meine erste Symphonie! Andere Forscher vermuten, dass es eher die g-Moll-Symphonie Nr. 40 gewesen sein könnte. In jedem Fall spielte die Nationale Kammerphilharmonie Prag unter dem englischen Barock- und Frühklassik-Experten Jonathan Cohen so filigran, so zackig und doch klangreich, dass dieser Mozart als Wachhalter für den ganzen langen Abend wirkte.

Kristian Bezuidenhout

Genau der richtige, um die Spannung zwischen Mozart und dem frühen Beethoven zu halten: Der südafrikanisch-australische Pianist Kristian Bezuidenhout.

(Foto: Marco Borggreve/Europäische Wochen Passau)

Nach einer Arie aus Joseph Haydns Schöpfung - ein Crowd-Pleaser fürs Wiener Publikum - folgte Beethovens C-Dur-Klavierkonzert. In dieser heute untypischen Abfolge empfand man das tatsächlich wie eine selbstbewusste Fortsetzung der Jupiter-Symphonie: Mozart klingt titanischer, könnte man sagen, und Beethoven klassischer, um sich dann doch bald ins Romantischere, Ernstere zu bewegen. Wer aber könnte diese Spannung besser halten als der südafrikanisch-australische Pianist Kristian Bezuidenhout? Er machte daraus in Passau Aufklärungsmusik, spürbar zwischen Französischer Revolution und Napoleon; und so glasklar Bezuidenhout spielt, so groß ist seine Sorge, dass jeder Ton singt. So wird auch der langsame Satz berührend, aber nicht klebrig.

Als nächstes dann: Beethovens Septett; aus der "Schöpfung" noch einmal das Duett "Holde Gattin, dir zur Seite" (das "It Takes Two" der Wiener Klassik); zwei Rondos von Beethoven als Ersatz für dessen damaliges improvisierendes "Fantasiren"; und zum Schluss eben die 1. Symphonie, hier im Gesamtpaket kein harmloses Frühwerk, sondern im letzten Satz schon auf die Siebte und die Neunte verweisend.

Allein der Effekt, Orchester- mit Kammermusik zu kombinieren, wirkt sehr erfrischend. Und hört man nun sehr bekannte Musik anders, wenn man um ihren historischen Ort weiß? Ja, aber man hört sie nicht "historischer", antiquarischer - sondern noch einmal präsenter.

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